Kindertagesförderungsgesetzes: Chancengerechtigkeit nur auf dem Papier - Neuer Partizipationszuschlag benachteiligt Zehntausende Kinder

Heute hat der Berliner Senat den Entwurf zur Änderung des Kindertagesförderungsgesetzes beschlossen. Die Senatskanzlei bezeichnet den Schritt in ihrer offiziellen Pressemitteilung als wichtigen Beitrag zu mehr Chancengerechtigkeit, mit welchem “alle Kinder unabhängig von Herkunft und Lebensumständen frühzeitig unterstützt [werden]”. Starke Worte – doch eine zentrale Neuerung im Gesetz steht diesem Versprechen diametral entgegen: die Einführung des sogenannten Partizipationszuschlags. Der VKMK – Der Kitaverband warnt, dass dadurch massive Chancenungleichheit und Selektion drohen.

Der Partizipationszuschlag stellt eine Neuausrichtung der bisherigen Personalzuschläge dar. Mit diesen Zuschlägen konnten Kitas bislang zusätzliches Personal finanzieren, um Kinder mit schlechteren Startbedingungen besser zu unterstützen. Die Förderung wurde bisher gewährt, wenn Kinder nicht deutscher Herkunft waren oder aus einem sozialen Brennpunkt kamen. Zum Jahresende 2023 waren 60.400 Kinder in Berliner Kitas nicht deutscher Herkunft, weitere 25.700 Kinder erhielten Unterstützung über die Brennpunktzulage. Diese Regelung soll nun vollständig entfallen. Stattdessen sollen die Zuschläge künftig ausschließlich Kindern zugutekommen, die Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket (BuT) beziehen – im Jahr 2023 waren das 22.300 Kinder. Hinzu kommt: Die Zuschläge werden erst dann gewährt, wenn mehr als 20 Prozent der Kinder in einer Kita BuT-Leistungen beziehen. Einrichtungen mit einem Anteil von 19,9 Prozent gehen somit leer aus und können kein zusätzliches Personal finanzieren. „Das widerspricht unserem Verständnis von Partizipation“, sagt Lars Békési, Geschäftsführer des VKMK – Der Kitaverband. „Unter Partizipation verstehen wir, dass alle Kinder teilhaben dürfen und nicht exklusiv nur 20% von 22.300 Kindern“.

Die Begründung der Senatskanzlei lautet: „So werden die Ressourcen zielgerichtet dorthin gelenkt, wo die Unterstützung am dringendsten gebraucht wird.“ Tatsächlich bedeutet dies jedoch, dass mehrere Zehntausend Kinder in Berliner Kitas mit Förderbedarfen künftig im Stich gelassen werden. Stattdessen verweist der Senat auf die Möglichkeit, dass Kitas Eltern aus sozioökonomisch schwachen Haushalten zukünftig beim Beantragen von Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket unterstützen können – damit die Quote an Kindern mit BuT-Leistungsbezug steigt. “Diese Erwartungshaltung des Senats zwingt Kitas dazu, Familien zu stigmatisieren. Pädagogische Fachkräfte dürfen nicht zu Sozialermittlern gemacht werden. Eltern nach BuT-Leistungen zu befragen, verletzt Privatsphäre und Vertrauen. Bildung braucht Beziehung – keine Bedürftigkeitsprüfung im Elterngespräch.” so Békési.

Von Familien, die sozioökonomisch besser aufgestellt sind und deren Kinder dennoch einen Sprachförderbedarf haben, erwartet der Senat, dass sie die notwendige Sprachförderung ihrer Kinder privat finanzieren. “Kitas würden diese Sprachförderung gerne ermöglichen, doch ihnen sind die Hände gebunden, da sie von Eltern keine zusätzlichen Gelder für individuelle Sprachförderung annehmen dürfen.“ betont Lars Békési.

Besonders paradox erscheint diese Neuerung vor dem Hintergrund der aktuellen VERA-Vergleichsstudie, die aufzeigt, dass in der dritten Jahrgangsstufe 47 Prozent der Kinder nicht richtig lesen und 68 Prozent nicht richtig schreiben können. Die Konsequenz müsste doch sein, mehr Kinder gezielt zu fördern – nicht weniger. „Wir nehmen die vielzitierte Chancengerechtigkeit aller Kinder sehr ernst. Eine Ausrichtung der Personalzuschläge allein am Bezug von BuT-Leistungen, die Quotierung der Zuschläge sowie der Ausschluss von mehreren Zehntausend Kindern ist aus unserer Sicht nicht gerecht und partizipativ, sondern selektiv.“, schließt Békési.