Die Anzahl der Geburten geht von Jahr zu Jahr zurück: Während 2021 die Geburtenzahl noch bei 1,58 Kindern pro Frau lag, sank sie 2024 auf 1,35 - und damit auf den niedrigsten Wert seit 30 Jahren. Berlin bildet dabei mit 1,21 Kindern pro Frau das bundesweite Schlusslicht. Das wirft natürlich die Frage auf, ob sich junge Erwachsene ein Leben mit Kind immer weniger vorstellen können. Dass diese Entwicklung jedoch kein Spiegel des tatsächlichen Kinderwunsches unter jungen Erwachsenen ist, zeigen Daten des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung aus den Jahren 2023 und 2024. Laut diesen hat sich der Kinderwunsch in den vergangenen Jahren kaum verändert: Im Schnitt wünschten sich Frauen 1,76 Kinder und Männer 1,74 Kinder.
Heute, am Weltkindertag, möchten wir uns genau mit diesem Thema beschäftigen: Warum entscheiden sich immer mehr junge Erwachsene gegen ein Kind, obwohl der Wunsch für ein Leben mit Kind eigentlich vorhanden ist? Was bedarf es, um die oft offensichtliche Differenz zwischen Kinderwunsch und gelebter Realität zu überbrücken? Und was kann Deutschland - und insbesondere Berlin - tun, damit Kinder sicher und wohlbehütet aufwachsen können?
Warum Wohnraum über Kinderwünsche entscheidet
Die Gründe, weshalb sich immer mehr junge Menschen gegen ein Leben mit Kindern entscheiden, sind zwar natürlich sehr individuell, doch es gibt einige zentrale Faktoren, die bei vielen eine Rolle spielen - allen voran die Wohnsituation. Denn: Wohnen - insbesondere in Großstädten wie Berlin - ist längst nicht mehr familiengerecht. So beträgt die Fläche einer durchschnittlichen Mietwohnung in Berlin 68,2 m2 und verfügt über 2,5 Zimmer. Lediglich 17,4% der Wohnungen in Berlin haben mehr als vier Zimmer. Dies hat zur Folge, dass fast die Hälfte der Vier-Personen-Haushalte in einer zu kleinen Wohnung leben. Neben dem Platzmangel erschweren auch die Mietpreise in Berlin die Realisierung eines Kinderwunsches, denn diese steigen seit Jahren nahezu exorbitant an. Allein im vergangenen Jahr erhöhte sich die durchschnittliche Nettokaltmiete um 5,5% auf 13,03€ pro Quadratmeter - bundesweit betrug diese Steigerung “nur” 4,5% auf 9,00€. Besonders betroffen sind Haushalte mit mittlerem oder geringem Einkommen, Alleinerziehende, Mehrkindfamilien und zugewanderte Familien. In Extremfällen führt diese Situation zur Wohnungslosigkeit: 2025 waren mehr als die Hälfte aller untergebrachten Wohnungslosen in Berlin Familienmitglieder. Und so kommt es, dass immer mehr Familien sich dazu entscheiden, aus Berlin ins Umland zu ziehen oder junge Paare ihren Kinderwunsch aufgrund der Wohnsituation aufgeben.
Kinderwunsch in unsicheren Zeiten
Neben der angespannten Wohnsituation tragen auch die aktuellen Krisen ihren Teil zum Geburtenrückgang bei. Während es in der Anfangszeit der Corona-Pandemie noch einen kleinen Anstieg der Geburten in Deutschland gab, kehrte sich dieser Trend seit 2022 ins Gegenteil und die Zahlen sinken seither kontinuierlich. Zusätzlich zu den Unsicherheiten, die die Pandemie mit sich brachte, kam der Krieg in der Ukraine hinzu - ein Krieg, der auch in Deutschland viele Fragen zur Sicherheit aufwarf. Gleichzeitig macht sich der Klimawandel zunehmend in Deutschland, unter anderem durch Überschwemmungen und Waldbrände, bemerkbar. Begleitet werden diese Krisen von steigenden Lebenshaltungskosten und der wachsenden Angst vor Armut, insbesondere vor Altersarmut. Diese Sorge trifft vor allem Mütter: Laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung verdienen Mütter von einem Kind im Laufe ihres Lebens im Schnitt 40% weniger als kinderlose Frauen. Bei mehreren Kindern können die Einbußen sogar bis zu 70% betragen.
Die unsichtbare Mehrarbeit von Eltern
Um die hohen Mieten und gestiegenen Lebenshaltungskosten bezahlen zu können und zugleich für das Alter vorzusorgen, sind viele Eltern beide berufstätig. Die Mehrheit der Mütter arbeitet dabei in Teilzeit, leistet gleichzeitig jedoch mehr Aufwand für Care-Arbeit. Dass die Teilzeitarbeit dennoch kaum Entlastung im Familienalltag bringt, zeigen Zahlen des Statistischen Bundesamts: Mütter und Väter leisten im Schnitt 57,5 Stunden Arbeit pro Woche und damit rund 10 Stunden mehr als kinderlose Männer und Frauen. Verschärft wird diese Belastung in Berlin zusätzlich durch lange Wegzeiten zu Kitas, Schulen, Freizeitangeboten und Ämtern aufgrund des knappen Wohnraums sowie einer überlasteten Infrastruktur. Dadurch fehlt vielen Eltern wertvolle Zeit mit ihren Kindern. Erschwerlich kommt hinzu, dass Care-Arbeit in der Gesellschaft nach wie vor zu wenig anerkannt wird und die dahinterstehende Belastung oft übersehen bleibt. Kaum verwunderlich also, dass sich 70% der Eltern erschöpft oder ausgebrannt fühlen, laut einer von der Kaufmännischen Krankenkasse in Auftrag gegebenen forsa-Umfrage. Zwei Drittel der befragten Eltern gaben dabei an, dass der Stress insbesondere in den vergangenen Jahren zugenommen hat.
Es darf jedoch nicht sein, dass Familien - und damit auch Kinder - solchen Belastungen ausgesetzt sind und junge Erwachsene aufgrund dieser Faktoren ihren Kinderwunsch aufgeben. Was braucht es also, um ein kind- und familiengerechtes Leben zu ermöglichen und Wunsch und Realität zusammenzuführen?
Von Wohnraum bis Elternzeit: Rahmenbedingungen für Familien verbessern
Insbesondere in Berlin ist dringend ein Ausbau von bezahlbarem und familiengerechten Wohnraum notwendig. Das bedeutet: größere Wohnungen, flexible Grundrisse, eine Stärkung des sozialen Wohnungsbaus und vor allem faire Mietpreise. Familien sollten nicht mehr in beengten Räumlichkeiten wohnen müssen - Kinder brauchen ihre eigenen Zimmer und Rückzugsorte. Dies sollte kein Luxus, sondern eine Selbstverständlichkeit sein, da die Wohnsituation nicht nur das aktuelle Wohlbefinden beeinflusst, sondern auch langfristig die Psyche, die Gesundheit und die schulischen Leistungen.
Ebenso wichtig sind kindgerechte Wohnumfelder mit ausreichend Grünflächen, Spielplätzen und einer guten Infrastruktur, damit Schulen und Kitas leicht erreichbar sind. Dabei gilt es auch zu verhindern, dass Kitas aufgrund des Geburtenrückgangs schließen müssen - nur so bleibt eine flächendeckende Kita-Versorgung garantiert und Eltern werden von langen Wegzeiten entlastet.
Um finanzielle Belastungen und damit verbundene Sorgen zu mindern, braucht es zudem eine Weiterentwicklung von Elterngeld und Elternzeit sowie die Förderung einer partnerschaftlichen Aufteilung von Erwerbs- und Care-Arbeit. Für Frauen darf es kein finanzielles Risiko sein, Kinder zu bekommen. Schweden beispielsweise zeigt, wie es gehen kann: Dort stehen Eltern pro Kind 480 Tage Elternzeit zu, davon je 90 Tage exklusiv für jedes Elternteil. Während 390 Tagen erhalten Eltern rund 80% ihres Einkommens. Flexible Arbeitszeitmodelle und eine gute Kita-Infrastruktur ergänzen das System - mit dem Ergebnis, dass Mütter in Schweden überdurchschnittlich häufig und umfangreich erwerbstätig sind.
Auch bei der Bewältigung alltäglicher Aufgaben können Familien entlastet werden: Durch weniger Bürokratie und bessere, funktionierende digitale Services. Die dadurch gewonnene Zeit können Eltern sinnvoller mit ihren Kindern verbringen.
Der Geburtenrückgang ist kein Spiegel eines fehlenden Kinderwunschs unter jungen Menschen, sondern die Folge struktureller Probleme. Sie erschweren die Familiengründung und lassen viele junge Menschen in eine unsichere Situation versetzen, ob sie sich Kinder überhaupt leisten können und ob sie Kindern überhaupt ein gutes Aufwachsen garantieren können. Besonders in Berlin verdichten sich diese Probleme durch Wohnungsknappheit, hohe Mieten und eine hohe Belastung durch doppelte Berufstätigkeit. Der Weltkindertag sollte nun Anlass sein, nicht nur heute, sondern an jedem anderen Tag auch, eine Gesellschaft zu gestalten, in der Kinderbekommen kein Risiko mehr darstellt. Kinder müssen in einer sicheren, schützenden, kind- und familiengerechten Umgebung aufwachsen können - und dafür braucht es eine mutige Familien-, Sozial- und Bildungspolitik. Denn Kinder sind unsere Zukunft, und es sollte außer Frage stehen, jedem Kind ein gutes Aufwachsen zu ermöglichen.
Quellen:
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Eltern-Burnout statt Familienglück? (n.d.). KKH. https://www.kkh.de/presse/pressemeldungen/elternstress2024.
Ergebnisse des Mikrozensus in Berlin und Brandenburg – Wohnsituation. (n.d.). https://www.statistik-berlin-brandenburg.de/f-i-2-4j.
Mietspiegel für Berlin 2025. (2025). Immobilienscout24. https://www.immobilienscout24.de/immobilienpreise/berlin/berlin/mietspiegel?mapCenter=52.507023%2C13.424545%2C10.091951738445271.
Pannen, A. (2024, December 8). Hohe Mieten, marode Schulen, fehlende Radwege: Berlin vergrault seine Familien. Tagesspiegel. https://www.tagesspiegel.de/berlin/hohe-mieten-marode-schulen-fehlende-radwege-berlin-vergrault-seine-familien-12785951.html.
Rückgang der Geburtenziffer schwächte sich 2024 deutlich ab. (n.d.). Statistisches Bundesamt. https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2025/07/PD25_259_12.html.
Schweden führt Elterngeld für Grosseltern ein. (2024). Pro Familia Schweiz. https://www.profamilia.ch/aktuelles/aktuell?view=article&id=2835:schweden-fuehrt-elterngeld-fuer-grosseltern-ein&catid=9#:~:text=So%20bekommen%20Eltern%20in%20Schweden,bekommen%20gerade%20einmal%202%20Wochen..
Trotz Geburtenrückgang: Lust auf Nachwuchs bleibt groß. (2025, July 30). tagesschau.de. https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/kinderwunsch-100.html.
Wetter, B., Bönke, Glaubitz, Göbler, Harnack, Pape, Manuela Barišić, & Valentina Sara Consiglio. (2020). Was es sie kostet, Mutter zu sein. Beschäftigung Im Wandel. https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/user_upload/200616_Kurzexpertise_MotherhoodLifetimePenaltyFINAL.pdf.
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