Vor wenigen Jahrzehnten sah die außerfamiliäre Kinderbetreuung noch etwas anders aus als heutzutage: Strukturen, pädagogische Konzepte, Schwerpunkte sowie die gesellschaftliche Wahrnehmung und Erwartung waren andere. Seitdem hat sich jedoch vieles verändert - Veränderungen, die auch einen Spiegel eines gewissen gesellschaftlichen, soziodemografischen und politischen Wandels darstellen. Und trotz vieler Veränderungen zum Positiven hin bleibt auch weiterhin einiges zu tun.
Anlässlich des Tags der Kinderbetreuung wollen wir einen genaueren Blick darauf werfen, wie sich die Kinderbetreuung im Laufe der Zeit entwickelt hat, welchen politischen und gesellschaftlichen Veränderungen der Wandel unterlegen war – und welchen Veränderungen die Kinderbetreuung in Deutschland vielleicht noch bevorsteht. Lasst uns also heute gemeinsam in den nächsten Zeilen eine kleine Zeitreise unternehmen.
Kinderbetreuung in der DDR: Ein sozialistisches Modell der frühkindlichen Bildung
Wenn wir rund 40-70 Jahre zurück in die deutsche Geschichte reisen - als Deutschland noch in zwei Staaten geteilt war - fällt ein markanter Unterschied in den Konzepten der Kinderbetreuung zwischen Ost- und Westdeutschland auf.
Im Osten Deutschlands, der sogenannten DDR, war Kinderbetreuung ein zentrales Element der sozialistischen Familien- und Bildungspolitik - mit dem Ziel, Kinder zu sozialistischen Persönlichkeiten zu erziehen, sie systematisch auf die Schule vorzubereiten und Frauen in die Erwerbstätigkeit zu bringen. Die Zuständigkeit lag im Ministerium für Volksbildung, womit deutlich wird, dass Kindergärten hier nicht nur zur Betreuung dienten, sondern als vollständige Bildungseinrichtungen mit einem klaren Bildungsauftrag verstanden wurden. Und um diesen adäquat umzusetzen - ganz nach sozialistischen Leitlinien - gab es einen festen, einheitlichen Bildungs- und Erziehungsplan, dem alle Einrichtungen folgen sollten. Vielfalt war demnach nicht vorgesehen - weder bei der Trägerform noch bei pädagogischen Konzepten. Dafür aber in der Ausbildung: Es gab ein breit gefächertes Ausbildungssystem mit verschiedenen, differenzierten Qualifikationen für die Tätigkeit in diesem Bereich.
Kinderbetreuung hatte also in der DDR einen sehr hohen Stellenwert und ein Großteil der Kinder besuchte schon damals entsprechende Einrichtungen, sowohl im Ü3- als auch im U3-Bereich - und das nicht nur stundenweise, sondern ganztägig.
Kinderbetreuung in der BRD: Von der Betreuung zur Bildung
Im Gegensatz zur DDR lag der Fokus in der Bundesrepublik Deutschland stärker auf der reinen Betreuung. Diese unterschiedliche Erwartungshaltung an die institutionelle Kinderbetreuung hatte ihren Ursprung in der Tradition der Kinderbetreuung zur Zeit der Weimarer Republik. Dort orientierten sich viele Einrichtungen eher an fürsorgerischen Aufgaben und richteten sich vorrangig an Kinder aus sozial benachteiligten Familien. Doch mit der Zeit wurde es für viele Familien immer dringlicher, Angebote der Kinderbetreuung wahrnehmen zu können, damit beide Elternteile arbeiten gehen konnten. Christliche Trägerverbände bemühten sich in der Folge um den Ausbau von Kindertagesstätten. Doch fehlende Infrastruktur, Personalmangel und unzureichende finanzielle Mittel erschwerten dies erheblich: Gruppen mit bis zu 50 Kindern pro Pädagog:in waren keine Seltenheit, und das Angebot konnte die Nachfrage bei weitem nicht decken. Die Pädagogik in den Einrichtungen war sehr autoritär und es war gesellschaftlich nach wie vor eher verpönt, seine Kinder in Betreuungseinrichtungen zu geben - insbesondere kleine Kinder unter drei Jahren. Die familiäre Betreuung hatte auch weiterhin Vorrang.
Der Bildungsaspekt spielte in westdeutschen Kindergärten somit zunächst kaum eine Rolle. Wenn überhaupt, dann primär, um die Kinder in den letzten Jahren auf die Schule vorzubereiten. Dementsprechend unterlag die Kinderbetreuung, anders als in der DDR, politisch dem Kinder- und Jugendhilfebereich und hatte auch bei weitem nicht ein so hohes gesellschaftliches Ansehen.
Erst Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre wandelte sich der Blick auf Kindergärten sowie ihre gesellschaftliche und politische Wahrnehmung: Mit dem Strukturplan des Deutschen Bildungsrates wurde die frühkindliche Betreuung erstmals als Bestandteil des Bildungssystems anerkannt. Man plädierte für eine stärkere Verzahnung von Schule und Kindergarten – ein Ziel, das auch bis heute nur teilweise erreicht ist. Infolgedessen wurde die Infrastruktur schrittweise ausgebaut. Auf Landesebene wurden Kindertagesstättengesetze verabschiedet, in denen unter anderem Finanzierung und Ausstattung geregelt wurden. Auch neue pädagogische Konzepte entstanden – wie etwa der Situationsansatz, der bis heute eine wichtige Rolle spielt.
Zwei Systeme, ein Land: Kinderbetreuung nach der Wiedervereinigung
Mit der Wiedervereinigung prallten somit zwei grundverschiedene Konzepte der Kindertagesbetreuung aufeinander - und beide Teile Deutschlands hatten Schwierigkeiten, sich damit zu arrangieren. Das Konzept des Ostens wurde dem Kinder- und Jugendhilfegesetz unterstellt, war damit nicht länger Teil des Bildungsbereiches und auch nicht mehr staatliche Aufgabe, sondern lag fortan in der Verantwortung der Länder und Kommunen. Gleichzeitig sah sich Westdeutschland einer stetig wachsenden Nachfrage ausgesetzt - bei weiterhin unzureichender Infrastruktur. Und bis heute lassen sich noch Unterschiede zwischen Ost und West verzeichnen, die aus der sehr unterschiedlichen Geschichte resultieren: Während in Westdeutschland immer noch verhältnismäßig weniger Kinder die Kita besuchen - insbesondere im U3 Bereich - und der Bedarf an Kita-Plätzen nicht ausreichend gedeckt ist, ist die Inanspruchnahme von Kita-Plätzen im Osten höher – und der Ausbau konnte den großen Bedarf inzwischen weitgehend abdecken. Doch mit der Zeit nähern sich Ost und West auch in diesem Bereich an.
PISA 2000 und der Reformdruck: Der Weg zur frühkindlichen Bildung
Ein Wendepunkt für die Kinderbetreuung in Deutschland war wohl die PISA-Studie aus dem Jahr 2000. Deutschland lag in allen Bereichen unter dem OECD-Durchschnitt, Bildungsdefizite bei den 15-Jährigen wurden sichtbar und die Diskussion begann, wie diesen Defiziten begegnet werden könne. Ein zentraler Punkt in der Debatte zur Problemlösung war die frühkindliche Bildung. Dies wurde auch zunehmend von wissenschaftlichen Untersuchungen gestützt, die belegten, welche entscheidende Rolle die ersten Lebensjahre für den späteren Bildungs- und Lebensverlauf eines Kindern spielen. Doch gleichzeitig war man damit konfrontiert, dass die institutionelle Kinderbetreuung den wachsenden Anforderungen weit hinterher hinkte: Es gab zu wenig Kita-Plätze, die Öffnungszeiten waren unzureichend, Themen wie Inklusion und U3-Betreuung nahmen an Wichtigkeit zu und verlangten Konzepte. Unter anderem als Reaktion darauf entwickelten die Bundesländer erstmals Bildungs- und Erziehungspläne für die frühkindliche Bildung. Anders als in der DDR sollten diese jedoch keine verbindlichen Vorgaben sein, sondern als Empfehlungen und Leitlinien dienen. Der Bildungsaspekt rückte zunehmend in den Vordergrund und wurde auch in Dokumenten, Gesetzen und Beschlüssen fest als Bildungseinrichtungen mit einem Bildungsauftrag benannt. Einen großen Meilenstein in der gesamtgesellschaftlichen Etablierung von Kindertagesstätten stellt dabei auch der seit 2013 bestehende gesetzliche Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder ab dem 1. Geburtstag dar.
Frühkindliche Bildung 2025: Entwicklungen, Erfolge und Herausforderungen
Und heute?
Heute ist die Kita als erste Stufe des Bildungssystems fest etabliert und die Bedeutung der frühkindlichen Bildung - sowohl für die individuelle Entwicklung als auch für die Gesellschaft - ist allgemeiner Konsens. Es gibt konkret ausgearbeitete Bildungspläne, Evaluationen, Dokumentationen, Beobachtungsverfahren und eine Vielzahl an pädagogischen Konzepten - von Reggio und Waldorf über tiergestützte Pädagogik und offene Arbeit bis hin zum bereits erwähnten Situationsansatz. Partizipation, Teilhabe, Kindzentriertheit und Selbstwirksamkeit haben autoritäre Ansätze abgelöst. Viele Teams arbeiten heute multiprofessionell, um verschiedenste fachliche Expertisen in ihre Arbeit mit einbeziehen zu können und so Kinder in ihrer ganzheitlichen Entwicklung besser zu fördern. Die Qualität der frühkindlichen Bildung wird zunehmend in den Fokus gerückt - nicht zuletzt durch bundesweite Initiativen wie das Gute-KiTa-Gesetz oder das Kita-Qualitätsgesetz.
Auch wissenschaftlich hat sich viel getan: Es wird umfangreich untersucht und analysiert, welchen Effekt frühkindliche Bildung hat. Und die Ergebnisse sind eindeutig: Frühkindliche Bildung kann gesellschaftliche Ungleichheit verringern, Kindern aus bildungsfernen Familien bessere Startchancen ermöglichen und so zu einem chancengerechteren Bildungsweg beitragen. Sie senkt das Armutsrisiko, unter anderem durch eine höhere Erwerbstätigkeit der Eltern. Zudem kann sie Förderbedarfe frühzeitig ausgleichen, den Gender Gap verringern und sowohl kurz- als auch langfristig zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines Landes beitragen.
Doch trotz all dieser positiven Entwicklungen bestehen natürlich auch weiter bestehende Herausforderungen:
Denn gleichzeitig steigen die Ansprüche an die Pädagogik zunehmend: Es müssen immer mehr und immer intensiver Kompetenzen vermittelt sowie zunehmende Förderbedarfe ausgeglichen werden. Die zunehmende Heterogenität unserer Gesellschaft und die stärkere Ausrichtung auf Individualisierung verlangen von Pädagog:innen ein breites Fachwissen, hohe Anpassungsfähigkeit und vielfältige methodische Kompetenzen. Auch Elterngespräche werden immer komplexer - ebenso wie die Erwartungshaltung der Eltern gegenüber Pädagog:innen. Evaluationen, Test, Dokumentationen erfordern zusätzlich viel Zeit, Wissen und personelle Ressourcen. Mit dieser Entwicklung können auch heute die bildungspolitischen Anstrengungen von Ländern, Kommunen und Bund abermals nicht Schritt halten - und damit das tägliche Engagement in den Kitas nicht adäquat unterstützen und fördern. Und auch in der breiten Gesellschaft hinkt das Verständnis von frühkindlicher Bildung der tatsächlichen Bedeutung hinterher – trotz hoher Erwartungen. Noch immer ist in Berichten, Artikeln und Stellungnahmen zu oft von „Kinderbetreuung“ die Rede – und zu selten von Bildung. Allein der Name des heutigen Tags, der Tag der Kinderbetreuung, unterstreicht dieses Argument.
Karin Priens Vision für die Kita-Zukunft: Ein neuer Kurs für die Zukunft?
Wie also könnte die Zukunft aussehen? Steht vielleicht der nächste Wandel schon unmittelbar bevor?
Die neue Ministerin für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Karin Prien gibt uns Grund zu hoffen. Denn sie erkennt und benennt, was für die Bildungslandschaft zentral ist: Kitas als Schlüssel zu mehr Bildungserfolg und Chancengerechtigkeit. Kitas als erste Bildungseinrichtung, die konsequent als Teil der Bildungskette verstanden werden muss.
Ein erster Schritt in diese Richtung ist bereits vollzogen: Die Integration des Bildungsbereichs in das Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Frühkindliche Bildung ist damit nicht mehr in einem separaten Ressort angesiedelt, sondern institutionell mit dem Bildungsbereich verbunden. Weiterhin untermauert Prien ihre Haltung diesbezüglich mit konkreten Reformvorschlägen - etwa einer nationalen Agenda für Kinder von 0-10 und einer besseren Verzahnung von Kita und Grundschule.
Viele ihrer Ansätze und Überlegungen zur Gestaltung der Bildungspolitik aus der Zeit vor ihrer Ernennung zur Ministerin finden sich heute im Koalitionsvertrag wieder: Wie eine frühzeitige bundesweite Diagnostik, eine Kita-Pflicht bei Förderbedarfen, gezielte Förderung von Kindern aus benachteiligten Familien sowie Maßnahmen zur Qualitätssicherung und -steigerung in der frühkindlichen Bildung. Darüber hinaus plädiert Prien dafür, Bildungspolitik über die Wahlperiode hinauszudenken und setzt sich für einen kooperativen Bildungsföderalismus ein. All das sind Ansätze, die Hoffnung machen: auf nachhaltige, langfristige Reformen–statt kurzfristiger Strategien.
Wir blicken auf jeden Fall gespannt auf die aktuelle Legislaturperiode und sehen großes Potenzial in Karin Priens bildungspolitischen Bestrebungen. Vielleicht markiert ihr Amtsantritt den Beginn eines echten Wandels – hin zu einer umfassenden Anerkennung von Kindertagesstätten als das, was sie längst sind: Bildungseinrichtungen. Und vielleicht heißt es in ein paar Jahren dann nicht mehr „Tag der Kinderbetreuung“, sondern „Tag der frühkindlichen Bildung“.
Quellen:
Berger, Manfred (2022, 7. Dezember). Geschichte des Kindergartens. socialnet Lexikon. Bonn: socialnet. https://www.socialnet.de/lexikon/Geschichte-des-Kindergartens.
Franke-Meyer, D. (2023, 6. Dezember). Frühkindliche Bildung, Erziehung und Betreuung – eine Zeitleiste. bpb.de. https://www.bpb.de/themen/bildung/dossier-bildung/276523/fruehkindliche-bildung-erziehung-und-betreuung-eine-zeitleiste/.
Franke-Meyer, D. (2024, 5. September). Geschichte der frühkindlichen Bildung in Deutschland. bpb.de. https://www.bpb.de/themen/bildung/dossier-bildung/239356/geschichte-der-fruehkindlichen-bildung-in-deutschland/#:~:text=Erst%20einige%20Zeit%20sp%C3%A4ter%20erweiterte,achtete%20auf%20Kontinuit%C3%A4t%20zur%20Schule.
Gebauer, R. (2023, 5. April). Kitas und Kindererziehung in Ost und West. bpb.de. https://www.bpb.de/themen/deutsche-einheit/lange-wege-der-deutschen-einheit/47313/kitas-und-kindererziehung-in-ost-und-west/.
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