Herausforderungen, Sorgen und Hoffnungen im Kita-Alltag - Lars Békési zieht Bilanz.

Das sich dem Ende neigende Kitajahr und die bevorstehenden Sommerfeste bieten uns einen idealen Anlass für einen Rückblick auf das vergangene Jahr und einen Ausblick auf die kommenden Herausforderungen, sowohl auf der Ebene der frühkindlichen Bildungsinstitutionen, als auch auf der politischen. Wir vom VKMK haben mit Lars Békési, Geschäftsführer des VKMK, gesprochen, um seine Einschätzungen zu aktuellen Herausforderungen und Lösungsansätzen in der frühkindlichen Bildung zu erfahren.  

VKMK: Herr Békési, lassen Sie uns mit einem Rückblick auf das vergangene Kitajahr beginnen. Wie würden Sie das vergangene Kitajahr zusammenfassen und welche Herausforderungen haben sich für die Kita-Teams ergeben? 

Lars Békési: Das vergangene Kitajahr war geprägt von der Bemühung der Kita-Teams, nach den umfangreichen Maßnahmen und Verwaltungsaufwendungen im Zuge der Corona-Pandemie zum ursprünglichen Alltag vor der Corona-Zeit zurückzufinden. Es war jedoch festzustellen, dass vielen Beschäftigten dies bisher noch nicht vollständig gelungen ist. Erschöpfungszustände, steigende Krankenstände und Langzeitfolgen von COVID-19 stellen weiterhin Herausforderungen dar und erhöhen den Druck auf das gesamte Personal. 

VKMK: Haben Sie Beispiele dafür, wie Beschäftigte individuelle Wege gefunden haben, um mit der Anspannung und Erschöpfung umzugehen? Welche Auswirkungen können solche Veränderungen auf die Qualität der pädagogischen Arbeit haben? 

Lars Békési: Einige Beschäftigte haben individuelle Wege gefunden, um mit der Anspannung und Erschöpfung umzugehen. Zum Beispiel sind einige in den Hortbereich gewechselt, wo bessere Rahmenbedingungen für die mittelbare pädagogische Arbeit herrschen. Andere haben vorübergehend neue Arbeitgeber über Zeitarbeitsfirmen gefunden, um vorübergehend weniger Verpflichtungen zu haben. Solche Veränderungen können die Arbeitsbelastung auf Einzelne reduzieren, jedoch könnten sie auch zu einer Fragmentierung des Teams und der pädagogischen Arbeit führen, was sich negativ auf die Qualität auswirken kann. 

VKMK: Wie haben sich die politischen Diskussionen auf Landes- und Bundesebene auf die Kitas ausgewirkt und welche Themen waren besonders herausfordernd? 


Lars Békési: Die politischen Diskussionen auf Landes- und Bundesebene waren oft von emotionalen und wenig produktiven Auseinandersetzungen geprägt. Dies führte absolut verständlich zu unnötigen Verunsicherungen. Besonders herausfordernd war und ist bspw. das Thema der Kindergrundsicherung und jüngst noch der unüberlegte Vorschlag beim Elterngeld., Eine konstruktive Diskussionskultur und eine Fokussierung auf die Bedürfnisse der Familien, Eltern und Kinder wären hier nicht nur wünschenswert gewesen, sondern auch dringend notwendig. 


VKMK: Welche Bemühungen wurden unternommen, um die Rahmenbedingungen in der frühkindlichen Bildung zu verbessern, und wie könnten diese Bemühungen die Qualität der pädagogischen Arbeit beeinflussen? Welche aktuellen Initiativen werden ergriffen, um die Rahmenbedingungen in der frühkindlichen Bildung zu verbessern, und wie könnten sich diese Bemühungen auf die Qualität der pädagogischen Arbeit auswirken? 


Lars Békési: Auf Bundesebene arbeitet eine engagierte Arbeitsgruppe aus Vertretern der Bundesländer sowie Experten aus den Bereichen Wissenschaft, Praxis und Gesellschaft intensiv daran, die Rahmenbedingungen in der frühkindlichen Bildung dauerhaft zu verbessern. Ein herausragendes Beispiel dafür ist das kommende Kitaqualitätsentwicklungsgesetz, das langfristig einheitliche Qualitätsstandards für die pädagogischen Kompetenzen der Fachkräfte etablieren und gezielt den Spracherwerb bei den jüngsten Kindern stärken soll. Zudem wird auf Bundesebene und in den Ländern ein fortlaufender Prozess vorangetrieben, um eine kluge Strategie zur Fachkräftegewinnung und -bindung zu entwickeln. Ich persönlich begrüße diese Aktivitäten aus verschiedenen Gründen. Der Dialog und der Austausch von Ideen sind grundlegend, um gemeinsam umsetzbare Lösungen zu finden. Meine Unterstützung für diese Bemühungen basiert nicht nur darauf, dass der VKMK Teil dieses Prozesses und Austauschs ist, sondern auch auf der Erkenntnis, dass in Zeiten begrenzter Haushaltsmittel eine kluge Investitionspolitik eine erfolgreiche Bildungspolitik ermöglicht. Es ist wichtig, alle Akteure einzubeziehen. Durch diese umfangreichen Bemühungen können wir die Qualität in den Kitas erhöhen und eine erstklassige Bildung und Betreuung für alle Kinder gewährleisten. 

 

VKMK: Wie könnten verschiedene Bundesländer zusammenarbeiten, um das gesamte System der frühkindlichen Bildung zukunftsfähig zu machen, und welche Hindernisse müssten überwunden werden?

 

Lars Békési: Die Zusammenarbeit der verschiedenen Bundesländer muss, wie bereits erwähnt, durch das kommende Kitaqualitätsentwicklungsgesetz verbindlich vereinbart werden. Nur auf diese Weise kann das gesamte System der frühkindlichen Bildung langfristig zukunftsfähig ausgestaltet bleiben. Daher ist es klug, den Austausch über bewährte Praktiken und die Entwicklung einheitlicher Standards bereits unter Beachtung eines engen Zeitplans voranzutreiben. Bis Ende 2023 soll ein erster Entwurf vorgestellt werden. Selbstverständlich müssen dabei auch Hindernisse wie unterschiedliche Finanzierungsmodelle und politische Interessen der Länder überwunden werden. Es erfordert den Willen zur Zusammenarbeit und einen langfristigen Fokus auf das gemeinsame Ziel, ein zukunftsfähiges System der frühkindlichen Bildung zu schaffen. 

VKMK: Welche konkreten Lösungswege schlagen Sie vor, um pädagogische Fachkräfte effektiv zu entlasten? 

Lars Békési: Werfen wir einen Blick auf das Beispiel des Landes Berlin. In einigen Bereichen hat das Land bereits mit den Bundesmitteln aus dem sogenannten "Gute-Kita-Gesetz" und nun durch das Kitaqualitätsgesetz gute Schritte unternommen, um die Fachkräfte zu entlasten und die Qualität zu steigern. Es ist jedoch wichtig, dass wir uns nicht auf diesen Erfolgen ausruhen und auf andere Bundesländer verweisen, die offenbar noch größere Herausforderungen bewältigen müssen. Stattdessen sollten wir nach vorne schauen und weitere Maßnahmen ergreifen, um die pädagogischen Fachkräfte effektiv zu entlasten. Besonders wichtig ist es, die pädagogischen Fachkräfte vollständig von nicht-pädagogischen Verwaltungsarbeiten zu entlasten. Neben dem Vorschlag, zusätzliche Verwaltungskräfte einzusetzen, um die Kita-Leitungen von nicht-pädagogischer Verwaltungsarbeit zu entlasten, damit sie sich zu 100% auf die pädagogische Arbeit und die Weiterentwicklung ihrer multiprofessionellen Kitateams konzentrieren können, könnten auch temporäre Maßnahmen ergriffen werden. Zum Beispiel könnten Freiwillige im sozialen Jahr (FSJ), Alltags- und Pflegehelfer eingesetzt werden, um die Stundenreduktion durch berufsbegleitende Auszubildende im Rahmen der kommenden 5-5-5-Anrechnung prozentual auszugleichen. Dadurch könnten wertvolle Stunden für die pädagogische Arbeit gewonnen werden. 

VKMK: Die voranschreitende Digitalisierung wird auch immer wieder im Zuge von Entlastungsmaßnahmen erwähnt. Wo sehen Sie hier die größten Vorteile?

Lars Békési: Der Einsatz digitaler Tools und Technologien ermöglicht eine effizientere Gestaltung administrativer Aufgaben, wodurch pädagogische Fachkräfte mehr Zeit und Raum für ihre eigentliche pädagogische Arbeit haben. Dies beinhaltet die Digitalisierung von Dokumentationsprozessen, die Nutzung pädagogischer Apps zur Kommunikation mit Eltern und die Bereitstellung von Online-Ressourcen für die pädagogische Arbeit. Zahlreiche Mitglieder des VKMK haben in den letzten Jahren genau diese Expertise erworben, und es ist nun wichtig, dass dies als Standard in der gesamten frühkindlichen Bildung flächendeckend implementiert wird. Es ist von großer Bedeutung, dass pädagogische Fachkräfte die Möglichkeit haben, ihre digitalen Kompetenzen kontinuierlich weiterzuentwickeln. Schulungen und Fortbildungen sollten angeboten werden, um den Umgang mit digitalen Werkzeugen zu fördern und die Integration von Medien in den pädagogischen Alltag zu unterstützen. Wie bei allen Fortentwicklungen der Menschheit - sei es der Buchdruck, die Dampfmaschine oder das Internet - müssen wir Vorbehalte abbauen und aktiv Veränderungen annehmen. Daher ist es bedauerlich, dass die technische Ausstattung (bspw. Viedokonferenztechnik) des Senats für Bildung, Jugend und Familie (SenBJF) immer noch unzureichend ist und eine erfolgreiche digitale Zusammenarbeit dadurch erschwert wird. Eine "Steinzeitmethodik" ohne angemessene digitale Ausstattung und Kompetenzen kann nicht die Zukunft der Bildung gestalten. Insgesamt sollten wir die Digitalisierung auf allen Ebenen nutzen, um pädagogischen Fachkräften eine nachhaltige Entlastung zu bieten und ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern. Durch den konsequenten Abbau bürokratischer Hindernisse und die gezielte Förderung digitaler Kompetenzen können wir aktiv die Zukunft der Bildung gestalten. 

 

VKMK: Wie sieht es mit den finanziellen Rahmenbedingungen aus? Welche Maßnahmen schlagen Sie vor, um diese zu verbessern? 

Lars Békési: Als Beispiel möchte ich erneut auf Berlin verweisen. Wenn die verfügbaren Haushaltsgelder knapper werden, bedeutet dies für die frühkindliche Bildung, dass die vorhandenen Gelder noch effizienter investiert und gezielt eingesetzt werden müssen. Der Haushaltsgesetzgeber muss sich mit dem Problem der Unterfinanzierung auseinandersetzen, insbesondere im Hinblick auf Gewerbemieten für Kitaeinrichtungen . Dabei halte ich eine Anpassung der bestehenden Finanzierung, ähnlich dem Hamburger Modell der Teilentgelte, für zwingend erforderlich. Es ist von großer Bedeutung, dass auch Maßnahmen zur Bestandserhaltung, wie Sanierungen, und insbesondere die Gewerbemietpreise pro Quadratmeter stärker in Betracht gezogen werden, insbesondere für kleinere Träger. 

VKMK: Wie können wir sicherstellen, dass in den aktuellen Diskussionen zu Arbeitsbedingungen und Bildungsqualität in der frühkindlichen Bildung die Perspektive der Kinder nicht weiterhin in den Hintergrund gerät und ihre Bedürfnisse ausreichend berücksichtigt werden? 

Lars Békési: Um sicherzustellen, dass die Perspektive der Kinder in den Diskussionen zur Förderung von Chancengerechtigkeit nicht vernachlässigt wird, müssen wir den Fokus auch auf die Stärkung multiprofessioneller Teams richten. Die Zusammenarbeit verschiedener Fachkräfte aus unterschiedlichen Bereichen ist von großer Bedeutung, um den individuellen Bedürfnissen der Kinder gerecht zu werden. Darüber hinaus sollten wir die Fachberatung als festen Bestandteil im System der Kindertagesbetreuung etablieren. Fachberaterinnen und -berater können pädagogische Fachkräfte unterstützen, ihre Arbeit zu reflektieren, neue Impulse zu geben und weiterzuentwickeln. Eine verbindliche Evaluation der pädagogischen Arbeit stellt sicher, dass die Qualität regelmäßig überprüft und verbessert wird. Ein weiterer Schritt zur Berücksichtigung der Kinderperspektive ist die Integration von Kitasozialarbeit. In besonders herausfordernden Lagen ist es wichtig, dass zusätzliche Ressourcen und Unterstützung zur Verfügung stehen. Ein Sozialraumbudget kann dazu beitragen, dass Kitasozialarbeit als Standard etabliert wird, um den Kindern in schwierigen Lebenssituationen bestmögliche Unterstützung zu bieten.Indem wir multiprofessionelle Teams stärken, Fachberatung und Evaluation fest im System verankern und Kitasozialarbeit durch zusätzliche Ressourcen fördern, setzen wir einen wichtigen Schritt, um die Bedürfnisse und Rechte der Kinder in den Vordergrund zu stellen. Eine ganzheitliche und gerechte frühkindliche Bildung kann nur gelingen, wenn wir die vielfältigen Herausforderungen erkennen und entsprechende Maßnahmen ergreifen, um den individuellen Bedürfnissen jedes Kindes gerecht zu werden. 

VKMK: Abschließend, welche positiven Perspektiven sehen Sie für die Zukunft der frühkindlichen Bildung und wie können wir diese Herausforderungen gemeinsam angehen? 

Lars Békési: Trotz der Herausforderungen bin ich optimistisch und sehe positive Perspektiven für die Zukunft der frühkindlichen Bildung. Indem wir – alle Akteure im Bildungsfeld- uns gemeinsam für verbesserte Rahmenbedingungen einsetzen, den Austausch und die Zusammenarbeit z stärken und ein Bewusstsein für die Bedeutung der frühkindlichen Bildung in der Gesellschaft schaffen, können wir diese Herausforderungen bewältigen 

Einen großen Dank an Herrn Békési, für Einschätzungen und Lösungsvorschläge zur Entlastung der pädagogischen Fachkräfte sowie zur Verbesserung der aktuellen Rahmenbedingungen. Wir bedanken uns für Ihre Zeit und natürlich Ihr Engagement, um die frühkindliche Bildung nachhaltig positiv zu verändern.