Eingewöhnungsmodelle in der Kita: Berliner, Münchener und Tübinger Ansatz im Vergleich

Die Eingewöhnung in eine Kindertageseinrichtung stellt für Kinder und ihre Familien eine bedeutende Übergangsphase dar. Sie markiert nicht nur den Beginn eines neuen Lebensabschnitts, sondern ist auch entscheidend für die weitere Entwicklung des Kindes. Um diesen Übergang so behutsam und kindgerecht wie möglich zu gestalten, haben sich verschiedene Modelle etabliert, die unterschiedliche Schwerpunkte setzen und jeweils eigene methodische Ansätze verfolgen. Zu den bekanntesten gehören das Berliner Modell, das Münchener Modell und das Tübinger Modell. Im Folgenden werden die Modelle näher vorgestellt und miteinander verglichen.

Das Berliner Modell

Das Berliner Eingewöhnungsmodell basiert auf der Bindungstheorie von John Bowlby. Es verfolgt einen kindzentrierten Ansatz, der sich an den individuellen Bedürfnissen und Fähigkeiten des Kindes orientiert. Die Dauer der Eingewöhnung wird entsprechend flexibel gestaltet und variiert je nach Reaktion und Verhalten des Kindes. In der Regel dauert sie ein bis drei Wochen, mindestens jedoch drei Tage. 

1. Die Grundphase

Die Grundphase umfasst in der Regel drei Tage. Während dieser Zeit besucht das Kind gemeinsam mit einem Elternteil für etwa ein bis zwei Stunden täglich die Kita. Das Kind lernt die neue Umgebung kennen und die Fachkraft nimmt vorsichtig den ersten Kontakt auf. Das Elternteil bleibt im Hintergrund, übernimmt jedoch alle pflegerischen Aufgaben. Die Fachkraft beginnt bereits in dieser Phase mit der intensiven Beobachtung, um den weiteren Verlauf der Eingewöhnung einschätzen und gegebenenfalls anpassen zu können.

2. Der erste Trennungsversuch

Nach der Grundphase erfolgt der erste Trennungsversucht: Das Elternteil verabschiedet sich vom Kind und verlässt den Raum. Wenn das Kind ruhig bleibt oder sich schnell beruhigen lässt, kann die Trennung etwa 30 Minuten dauern. Zeigt das Kind jedoch starke Trennungsängste oder lässt sich nicht beruhigen, sollte die Trennung nur wenige Minuten andauern und ein weiterer Trennungsversuch frühestens in der zweiten Woche stattfinden.  

3. Die Stabilisierungsphase

In der Stabilisierungsphase ist das Elternteil weiterhin in der Kita anwesend, zieht sich aber zunehmend zurück. Gleichzeitig intensiviert die Fachkraft den Kontakt zum Kind und übernimmt schrittweise nun auch pflegerische Aufgaben. Die Trennungszeiten werden je nach Reaktion und Bedürfnis des Kindes langsam ausgedehnt. In dieser Phase sollten alle Pflege- und Routinehandlungen, wie etwa Wickeln, Essen, Einschlafen, mindestens einmal durch die Fachkraft erfolgreich durchgeführt werden, damit das Kind Vertrauen in die Fachkraft aufbauen kann. 

Das Münchener Modell

Das Münchener Eingewöhnungsmodell geht auf ein wissenschaftliches Projekt an Münchner Kinderkrippen unter der Leitung von Kuno Beller zurück. Es basiert auf einem entwicklungspsychologischen Verständnis von Kindern als kompetente Akteure ihrer eigenen Bildungsprozesse. Zentral ist der Gedanke, dass Kinder die Eingewöhnung aktiv mitgestalten und dass Übergänge - sogenannte Transitionen - dann besser bewältigt werden, wenn sie als bedeutsam und potenziell gewinnbringend erlebt werden. Daher legt das Modell großen Wert auf eine längere Kennenlernphase und eine individuell gestaltete Beziehungsentwicklung. Die Eingewöhnung dauert in der Regel vier bis fünf Wochen. 

1. Kennenlernphase

In der Kennenlernphase besucht das Kind gemeinsam mit einem Elternteil täglich für mehrere Stunden die Kita. Es macht sich mit den neuen Räumen, Tagesabläufen, Materialien, den anderen Kindern und der Fachkraft vertraut. In dieser Zeit findet noch keine Trennung statt. Das Kind hat die Möglichkeit, im eigenen Tempo die neue Umgebung zu erkunden. Die Fachkraft beobachten dabei aufmerksam, wie sich das Kind verhält, was es interessiert und welche Bedürfnisse es zeigt.

2. Sicherheitsphase

Auf Grundlage der Beobachtungen aus der ersten Woche beginnt in der Sicherheitsphase der schrittweise Aufbau einer Beziehung zwischen Fachkraft und Kind. Die Fachkraft knüpft gezielt an die Interessen des Kindes an und bietet sich als verlässliche Bezugsperson an, indem die Fachkraft dem Kind zeigt, dass sie in der Lage ist, es gut zu begleiten und in seiner Entwicklung zu stärken. Sie übernimmt nach und nach pflegerische Aufgaben, denen die Eltern in der ersten Phase noch nachkamen. Das Elternteil ist weiterhin anwesend, zieht sich jedoch zunehmend zurück. Auch die anderen Kinder in der Kita werden in dieser Phase gezielt einbezogen, um dem Kind Erfahrungen zu ermöglichen, die Erwachsene ihm nicht in gleicher Weise vermitteln können.

3. Vertrauensphase

In dieser Phase hat das Kind inzwischen ein Grundvertrauen zur Fachkraft aufgebaut und fühlt sich in seiner neuen Umgebung sicher und geborgen. Auch die Eltern haben Vertrauen in die Kita und das pädagogische Personal entwickelt. Auf dieser Basis kann die erste Trennung stattfinden, ohne dass sie als Vertrauensbruch empfunden wird. Die Trennung erfolgt behutsam, individuell abgestimmt und stets unter enger Beobachtung der Reaktion des Kindes.

Das Tübinger Modell

Das Tübinger Modell ist im Gegensatz zum Berliner und Münchener Modell nicht in klar definierte Phasen unterteilt, sondern bietet viel eher ein flexibles Rahmenkonzept, welches sowohl an die Ressourcen der Einrichtung als auch an die individuellen Bedürfnisse der Kinder angepasst werden kann. Der Fokus liegt nicht auf dem Aufbau einer Bindung und Beziehung zu einer Fachkraft, sondern auf dem Kind als aktiver Teil einer Peergroup. Die Eingewöhnung in einer Peer bringt Kindern einen Mehrwert, den Erwachsene in dieser Form nicht leisten können: Sie treten in Interaktion mit Gleichaltrigen, lernen gemeinsam, bauen eigene Regeln und Strukturen auf, entwickeln soziale Kompetenzen und können sich gegenseitig trösten und unterstützen.

Die Eingewöhnung erfolgt in einer Peergroup von etwa drei bis fünf Kindern, begleitet von zwei Fachkräften sowie jeweils einer familiären Bezugsperson pro Kind, für ca. 1 bis 2 Stunden täglich. Die Eingewöhnung in der Peer wird in einem separaten Raum gestartet, der kindgerecht und anregend gestaltet ist. Dort können die Kinder gemeinsam die Umgebung erkunden, spielen und in Kontakt treten. Die familiären Bezugspersonen nehmen zu Beginn aktiv teil, ziehen sich jedoch nach und nach zurück. Dennoch bleiben sie auch weiterhin für ihr Kind als sicherer Rückzugsort anwesend und übernehmen die pflegerischen Aufgaben am Kind.

Die Fachkräfte beobachten kontinuierlich und intensiv die Kinder in der Peer. Sie reflektieren, analysieren das Verhalten der Kinder und bauen ein erstes Bild über deren Bindungsverhalten, Interessen und Bedürfnisse auf. Die Kinder können selbst entscheiden, zu welcher der beiden Fachkräfte es eine Bindung aufbauen möchte - oder ob es vielleicht auch zu beiden eine Beziehung eingehen möchte. Die Fachkräfte bleiben auch nach der Eingewöhnung noch als Bezugsfachkräfte der Kinder erhalten. 

Erste kleine Trennungen können bereits in der zweiten Wochenhälfte erfolgen, allerdings nur, wenn das Kind entsprechende Signale gibt und bereits sichere Beziehungen aufgebaut hat. In der zweiten Woche kann der separate Raum teilweise geöffnet werden und die Kinder können über ihren Rückzugsraum hinaus die Einrichtung erkunden und andere Gruppen besuchen - allerdings stets orientiert an den individuellen Bedürfnissen des Kindes, dem Tempo, den Signalen und Reaktionen. Entsprechend kann es sein, dass nur einzelne Kinder ihren Aktionsradius in dieser Zeit ausweiten.

Die Eingewöhnung gilt als abgeschlossen, wenn das Kind Beziehungen zu einer oder beiden Fachkräften aufgebaut hat sowie zu anderen Kindern, sich von seiner familiären Bezugsperson lösen kann und vertraut ist mit den anderen Räumen, Regeln, Ritualen und dem Tagesablauf.