Ein Interview mit Lars Békési, Geschäftsführer des VKMK
Herr Békési, als Geschäftsführer des VKMK sind Sie mit beiden Seiten regelmäßig im Austausch; der politischen und der betroffenen Seite, in dem Fall: den Kindertagesstätten in Berlin. Wo sehen Sie die größte Diskrepanz in der Kommunikation?
Lars Békési: Gesagtes bzw. Versprochenes und die tatsächliche Umsetzung dessen sind oftmals nicht übereinstimmend. Im Gegenteil; große Missstände werden regelmäßig thematisch übergangen, in Sitzungen sogar übersprungen - und, wenn sie doch als Diskussionspunkt auf dem Tisch landen, dann oftmals im Zuge einer bevorstehenden Wahlkampagne. Das klingt auf den ersten Blick wunderbar, wirkt beinahe hoffnungserregend. Doch dann streichen die Wochen und Monate ins Land und allen wird wieder einmal bewusst, dass hinter den schönen Worten leider keinerlei Absichten zu Taten standen.
“Die Politik überspringt die Kitas immer wieder und legt den Fokus größtenteils erst im Schulalter an, was ein absolut fataler Gedankenfehler ist. “
Bei der Verteilung der Haushaltsgelder wurden die Kitaträger kaum bis gar nicht thematisiert. Wie haben Sie und die Kita-Träger darauf reagiert?
Lars Békési: Es war in vielerlei Hinsichten eine herbe Enttäuschung. Die Tatsache, dass die Kita-Träger nicht einmal mehr ausführlich besprochen und bedacht wurden, war für uns erschreckend. Es wirkte wie eine Selbstverständlichkeit, dass hier keinerlei Unterstützung stattfinden wird. So selbstverständlich, dass es nicht einmal mehr eines offenen Gesprächs bedarf. Während die Koalitionsrunde vom 19.09 noch Hoffnung auf Hilfe schürte, gingen die Kitaträger in der Diskussion um die Haushaltsgelder leer aus. Wissend, dass sie den finanziellen Belastungen bereits vor der starken Inflation kaum gewachsen waren.
Die Politik überspringt die Kitas immer wieder und legt den Fokus größtenteils erst im Schulalter an, was ein absolut fataler Gedankenfehler ist. Anstelle hier eine gleichmäßige Verteilung und Gewichtung anzustreben, gibt es hier deutliche Diskrepanzen. Denn, während die Kitaträger beispielsweise in leere Töpfe blicken, ohne Aussicht auf Hilfe, erhalten Schulen auch einmal Ad-Hoc-Finanzierungen im mehrstelligen Millionen-Bereich.
Sie denken hier vermutlich an die Sanierung des Gymnasiums am Europasportpark in Pankow, für die Frau Giffey 40 Millionen Euro veranlasst hat?
Lars Békési: Richtig. Verstehen Sie mich hier nicht falsch; es ist natürlich sinnvoll, dass die regierende Bürgermeisterin Berlins, gemeinsam mit ihrer Fachsenatorin, das Gespräch wahrgenommen hat und persönlich am Gymnasium in Pankow erschienen ist und es ist ebenfalls beruhigend, dass sie den Zustand des Gebäudes als ebenso unzumutbar empfunden hat, wie die Lehrkräfte, Kinder und Jugendlichen. Die finanzielle Hilfestellung, die dem Gymnasium in Pankow zugesichert wurde, ist wichtig, richtig und längst überfällig gewesen. Nur sollte die helfende Hand nicht nur dort agieren, wo am lautesten gebrüllt wird, wissend, dass diverse Institutionen auf ebenso angesetzte Hilfestellungen zwingend und dringend angewiesen sind. Gerade, wenn die wirtschaftliche Lage absolutes Abwägen veranlasst, was die Verteilung von Finanzierungen betrifft, sollte man Ad-Hoc-Entscheidungen tunlichst vermeiden. Der Aufschrei nach einer Beseitigung des unwürdigen Zustandes in Pankow war absolut nicht neu. Er ist nun nur eben unüberhörbar laut geworden. Für die Zukunft gilt es zu vermeiden; Entscheidungen so lange aufzuschieben, bis sie zu politischen Spontan-Reaktionen zwingen, die nicht durchdacht scheinen, in Anbetracht des Gesamtkontextes.
“Das Hauptproblem ist eine deutliche Unterfinanzierung. Die Symptome dessen breiten sich seit Jahren in allen vorstellbaren Bereichen aus.”
Vor welcher Problematik stehen die Kitaträger momentan denn insbesondere?
Lars Békési: Würden wir nun anfangen aufzuzählen, wo die Folgen des Totsparens bereits so gravierend sind, dass man nicht mehr von Handlungsbedarf, sondern viel eher von Notstand sprechen müsste, wären wir vermutlich vor dem Morgengrauen kaum fertig. Das Hauptproblem ist eine deutliche Unterfinanzierung. Die Symptome dessen breiten sich seit Jahren in allen vorstellbaren Bereichen aus.
Angefangen beim Frühstückstisch: Kitas müssen sich die Frage stellen, wie man mangels vernünftiger Finanzierung hier überhaupt noch Qualität versprechen kann. Dass alle Kinder satt werden müssen, ist eine Selbstverständlichkeit. Nur wie viel Qualität ist hier gleichzeitig noch umsetzbar, bei derart geringen finanziellen Mitteln und derart hohen Mehrkosten?
Und während die UNESCO Kommission, bei der Weltkonferenz (14. - 16. November 2022) lautstark die Wichtigkeit frühkindlicher Bildung unterstrichen hat und bis 2030 allen Kindern den Zugang zu hochwertiger frühkindlicher Bildung, Betreuung und Erziehung sichern möchte, blickt man in Berlin in leere Gesichter, bei der immer wieder auftauchenden Frage: "Wann werden die für sprachliche Bildung im frühkindlichen Alter angesetzten 13,4 Millionen Euro überführt, die der Bund bisher jährlich in seiner Regelfinanzierung gestellt hat?"
Anstelle des wissenschaftlich empfohlenen Fachkraft-Kind-Schlüssels von 1 zu 3, müssen die Kita-Teams seit langem in den Kindertagesstätten jeweils 10-12 Kinder, oder mehr, gleichzeitig betreuen und dabei zugleich die individuelle Kompetenzförderung für jedes einzelne Kind abbilden, bei einer öffentlichen Wertschätzung und einem Gehalt, die/das ihren mannigfachen Bildungsaufgaben oft kaum im Ansatz gerecht wird. Ein Abgang von gut ausgebildeten Fachkräften, den wir seit Jahren beobachten müssen, ist also absolut keine Zufälligkeit sondern eine Reaktion auf die Arbeitssituation, die ohnehin schon unzureichend war, aufgrund von Covid, stetig steigenden Verwaltungsaufgaben, sowie Mehr-Ausfällen aber zu einem Ding der Unzumutbarkeit geworden ist. Die körperliche und seelische Überlastung der Fachkräfte hat als natürliche Konsequenz zu einem Abwandern der Beschäftigten geführt, was eine zusätzliche Mehrbelastung durch den Personalmangel nur verstärken wird. Dies sind nur einige Beispiele, von vielen, die verdeutlichen, wie gravierend die aktuelle Lage ist und welche Folgen diese Unterfinanzierung mit sich bringt.
“Der Grundbaustein für Kompetenzen wird nun einmal im frühkindlichen Alter gelegt. Genau dort, wo momentan ein rigoroses Ignorieren und Abbauen stattfindet.”
Welche Folgen machen Ihnen hier die größten Sorgen?
Lars Békési: Kurz gesagt: Die fatale Unterschätzung von frühkindlicher Bildung und die möglichen Konsequenzen dessen für die Zukunft. Die Kernkompetenzen eines Menschen werden im Altersabschnitt zwischen 0 und 6 Jahren gelegt. Das ist keine neue Erkenntnis, sondern ein wissenschaftliches Gut, das der Gesellschaft seit Jahrzehnten zur Verfügung steht.
Wir alle kennen den Spruch: “Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr”. In diesem Fall sprechen wir nicht von Manieren oder diversen Kleinigkeiten, sondern sprachlichen Fähigkeiten, kognitiven Herangehensweisen, strukturiertem Arbeiten, Förderung von Stärken und Bearbeiten von Defiziten. In Kitas werden die Grundlagen gelegt, für eine erfolgreiche Zukunft der Kinder. Und, wovor viele erfolgreich die Augen verschließen; diese Kinder werden irgendwann die wirtschaftlichen Stützpfeiler unserer Gesellschaft, wenn sie herangewachsen und im Berufsleben angekommen sind.
Die Förderung zur Entwicklung von Kompetenzen, die wir heute ignorieren und aufschieben, sind dann Defizite, die sich irgendwann nicht nur privat, im Leben und den Zukunftschancen der individuellen Kinder bemerkbar machen, sondern eben auch, unvermeidlich; gesellschaftlich.
“Es ist unverständlich, wie diese Situation beinahe schulterzuckend hingenommen werden kann.”
An welche Auswirkungen denken Sie hier?
Lars Békési: Auch hier gilt abermals, dass sämtliche Punkte wohl den Rahmen unseres Gespräches sprengen würden. Wie bereits gesagt; die chronische Unterfinanzierung der Kitas ist das Hauptproblem und dessen Symptomatiken streuen in etliche Bereiche. Überbelastung und nicht ausreichende Entlohnung führen bereits seit Jahren zu einem stetigen Abgang von qualifizierten Fachkräften.
Die Tendenz hier ist weiterhin abnehmend. Die Verantwortlichkeiten bleiben natürlich bestehen, aber aufgrund der aktuellen Lage müssen sie unter weniger Fachkräften aufgeteilt werden. Überbelastung führt zu Mehr-Ausfällen, was wiederum zu weiterer Überlastung führt. Wenn die Bedingungen eines Berufes so strukturiert sind, dass selbst darauf spezialisierte Fachkräfte freiwillig das Feld verlassen, ist das selbstverständlich auch keine Grundlage, um neue Fachkräfte mit den richtigen Kompetenzen anzuwerben und langfristig zu binden. Wir befinden uns bereits in einer Spirale nach unten und am Grund warten drastische Konsequenzen auf uns: Einbruch der Qualität von Verpflegung und Bildung, sowie verkürzte Öffnungszeiten oder deutlich weniger Angebot, an die vielen Familien, die verzweifelt darauf angewiesen sind.
Es ist unverständlich, wie diese Situation beinahe schulterzuckend hingenommen werden kann. Der Mangel an qualifizierten Fachkräften ist enorm. Diese Fachkräfte sind jedoch zuständig für das Übermitteln und Fördern von essentiellen Kernkompetenzen in den Kindern. Die Grundbausteine für einen erfolgreichen Werdegang können somit oftmals nicht mehr ausreichend gelegt und das birgt natürlich Konsequenzen, die irgendwann auch gesellschaftlich spürbar werden.
Ignorierte Defizite bei Sprache und Bildung verbauen Kindern Zukunftschancen für erfolgreiche und gut qualifizierte Jobs, insbesondere auch im Handwerk oder in den Feldern der Zukunftstechnologien. Diese Berufe sind natürlich nicht nur von Vorteil für die heranwachsenden Kinder selbst, sondern auch auf Landesebene essentiell. Qualifizierte und gebildete Menschen sichern nun einmal, landesweit, eine erfolgreiche Zukunfts-Perspektive.
“Bildungschancen sollten für alle Kinder gegeben sein, um Zukunftsperspektiven zu sichern.”
Der Grundbaustein für die entsprechenden Kompetenzen wird aber nun einmal im frühkindlichen Alter gelegt. Genau dort, wo momentan ein rigoroses Ignorieren und Abbauen stattfindet. Ein erfolgreiches Überkommen der fehlenden Kompetenzen ist für die heranwachsenden Kinder natürlich nicht unmöglich, aber durchaus schwieriger und unwahrscheinlicher, als bei jenen, die hier individuelle Förderung und Hilfestellungen erhalten haben und auf einem guten Fundament aufbauen und wachsen können. Kinder, die keinerlei zusätzliche Bildungsförderung im privaten Rahmen erhalten können, sei es, weil beide Eltern berufstätig sind oder eine Förderung schlicht nicht im Rahmen der privaten Finanzierungsmöglichkeiten liegt, sehen sich hier nicht nur schlechten Startchancen gegenüberstehen, sondern fallen in den darauffolgenden Jahren oftmals immer weiter nach hinten, bis die Kluft nicht mehr überbrückbar ist. Eine erfolgreiche schulische Bildung ist und war noch nie Zufall und sollte niemals abhängig vom finanziellen Rahmen der Eltern sein.
“Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, hier Diskrepanzen bereits im frühkindlichen Alter mehr oder weniger hinnehmen zu müssen.”
Bildungschancen sollten für alle Kinder gegeben sein, um Zukunftsperspektiven zu sichern. Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, hier Diskrepanzen bereits im frühkindlichen Alter mehr oder weniger hinnehmen zu müssen, da der finanzielle Rahmen keine Alternativen für Förderungen bietet. Alles, ohne Aussicht auf Besserung, seitens der Politik.
Was wünschen Sie sich hier von Seiten der Politik, um dieser Problematik entgegenzuwirken?
Lars Békési: Über ein schlichtes “Wünschen” sind wir bereits lange hinaus. Vielmehr erwarten wir eine echte Verantwortungsübernahme. Während frühkindliche Institutionen sich vor Problemfeldern kaum retten können, schafft der Berliner Senat es bisher immer wieder, diese zu übergehen und andere Themen zu priorisieren. Man ist weit entfernt von irgendwelchen Lösungsansätzen, wenn man sich noch in der Frage um die bloße Existenz der Probleme befindet. Ein offenes Anerkennen der Problematik(en) wäre hier der erste Schritt, um konstruktive Diskussionen und Lösungsansätze überhaupt bedenken zu können. Ein regelmäßiger Austausch mit allen Kita-Trägern ist hier unvermeidbar und würde Klarheit für alle Parteien schaffen können.
“Es grenzt hier schon an eine organisierte Verantwortungslosigkeit.”
Weiter brauchen wir: tatsächliche Umsetzungen. Schöne Worte bringen in aktuellen Notständen und Krisensituationen absolut gar nichts. Hierzu ist es wichtig, dass die Verantwortlichkeiten nicht immer wieder hin und her gereicht werden, je nachdem, in welchem Licht sich die Parteien im Rahmen diverser Wahlkampagnen präsentieren möchten, bis es zu unumgehbaren Problematiken kommt. Es grenzt hier schon an eine organisierte Verantwortungslosigkeit, die selbstverständlich drastische Konsequenzen mit sich bringt, die heute bereits nicht mehr diskutierbar sind und für die Zukunft fatale Problematiken bereithalten. Der Fokus des Senates scheint leider nur auf politisch gewinnbringenden Maßnahmen zu liegen, nicht aber auf den richtigen Bausteinen, um aktuelle Probleme zu beheben und schon gar nicht auf den notwendigen Schritten für langfristige, erfolgreiche Resultate.
Gerade bei den großen Krisen der heutigen Zeit, die viele wirtschaftliche Fragezeichen mit sich bringen; bedarf es hier deutlich mehr Durchleuchtung und ebenso mehr Handlungen mit Blick in die Zukunft und Einbezug des Gesamtkontextes, damit es nicht mehr zu Ad-Hoc-Aktionen im Rahmen der finanziellen Förderung, wie in Pankow, kommen muss, sondern vielmehr zu gut durchdachten Lösungswegen, die mehr als nur eine Institution mit einbeziehen.
Kurzum: Wir erwarten als Erstes, dass die Dringlichkeit des aktuellen, mehrfachen Notstandes anerkannt wird, um hier Problematiken der Zukunft zu vermeiden. Als zweites erwarten wir, dass die Unterfinanzierung, bzw. die Politik der “reinen Behandlung von Symptomen”, beendet wird. Wir müssen das Kernproblem endlich ernst nehmen und behandeln. Frühkindliche Bildungspolitik ist das Fundament der Investitionspolitik. Eine Investition in die Kinder ist eine Investition in die Zukunft und die wirtschaftliche Ausgangslage, die eng mit ihnen verwoben sein wird.