Ein Jahr schwarz-roter Koalition in Berlin: Bürokratieabbau in der frühkindlichen Bildung bleibt ein unerfülltes Versprechen

Vor einem Jahr wurde der gemeinsame Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD unterzeichnet, womit seitdem ein schwarz-roter Senat die Regierungsgeschäfte in Berlin führt. Innerhalb dieses Jahres haben sich signifikante positive Entwicklungen ergeben, insbesondere im Bereich der Kommunikation. Anstatt unilateral zu entscheiden, werden wichtige Stimmen nun angehört und aktiv in Entscheidungsprozesse integriert. Der Kitaverband VKMK betrachtet dabei Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch als maßgeblich für die Verbesserung der Zusammenarbeit im Bereich der frühkindlichen Bildung, da sie eine erfolgreiches und respektvolles Miteinander zwischen Verband und der politischen Ebene ermöglicht. Trotz dieser Fortschritte steht der schwarz-rote Senat bis dato nach wie vor vor der scheinbar unüberwindbaren Aufgabe, die fest verankerten bürokratischen Strukturen in Berlin zu lockern. 

Deutschland, und insbesondere Berlin, leiden unter dem berechtigten Ruf der überbordenden Bürokratie. Tagtäglich sehen sich Bürger*innen und Unternehmen mit komplexen und zeitraubenden bürokratischen Prozessen konfrontiert. Ein symbolisches Beispiel dieses Bürokratiemonsters in Berlin sind die langen Wartezeiten für die Online-Terminbuchungen in den Bürgerämtern. Auch der Bau des Hauptstadtflughafens veranschaulicht die langwierigen Prozesse, die in sämtlichen Bereichen der Stadt zu finden sind. Dass dies den Arbeitsablauf und den Fortschritt beeinträchtigt, ist auch dem Senat bewusst. Als Reaktion auf diese Herausforderung hat er das Vorhaben einer Bürokratieentlastung ins Leben gerufen, wobei die Digitalisierung als Schlüssel zur Reduzierung bürokratischer Hürden betrachtet wird. Trotz klar definierter Pläne und Maßnahmen bleibt die Umsetzung in einigen Bereichen hinter den Erwartungen zurück.

Bürokratische Odysee in der frühkindlichen Bildung

Davon betroffen ist natürlich auch die frühkindliche Bildung. Hier zeigt sich deutlich, dass die erhoffte Entlastung durch Digitalisierung bisher nicht erreicht wurde. Im Gegenteil: Die Einführung digitaler Systeme führte paradoxerweise zu einer Zunahme der Belastung für pädagogische Fachkräfte und Kitaträger. Täglich müssen sie sich auch weiter durch eine Vielzahl verschiedener Dokumente und Formulare kämpfen, um den bürokratischen Anforderungen gerecht zu werden.

Geburtsurkunde und Kita-Gutschein: Ein bürokratischer Spießrutenlauf für Eltern 

Der bürokratische Irrsinn in der frühkindlichen Bildung beginnt für Eltern praktisch schon kurz nach dem Kreißsaal. Um ihr Kind in einer Kita anmelden zu können, benötigen sie eine Geburtsurkunde. Doch diese erhalten Eltern nicht automatisch oder können sie bereits im Krankenhaus beantragen. Stattdessen müssen sie sich zunächst zum zuständigen Standesamt begeben, Formulare ausfüllen und dann bis zu acht Monate auf die Ausstellung der Geburtsurkunde warten. Als ob das nicht schon genug wäre, kommt der bürokratische Hürdenlauf beim Kita-Gutschein hinzu. Dieser muss von den Eltern im Jugendamt beantragt werden, erfordert ein weiteres Formular sowie den Nachweis der Geburtsurkunde und verschlingt einen beträchtlichen Teil ihrer Zeit. Ein Aufwand, den sich keine der beteiligten Parteien leisten kann und der durch effizientere und durchdachtere Lösungen eigentlich überflüssig wäre.

Die Papierflut im digitalen Zeitalter

Sind die Kinder einmal nach diesem Marathon in der Kita angemeldet, beginnt für die pädagogischen Fachkräfte der bürokratische Albtraum. Ein Beispiel stellt die Dokumentation und Beobachtung der Kinder in ihrer Entwicklung dar. Fast 20 Jahre mussten die Fachkräfte hierfür im sogenannten Sprachlerntagebuch regelmäßig in schriftlicher Form die Dokumentation über die sprachliche Entwicklung der Kinder erheben. Dieses Verfahren, inklusive der vor der Einschulung zu durchführenden Statuserhebung QuaSta wurden bereits 2020 von der Köller-Kommission als defizitär eingestuft. Als Antwort darauf soll in diesem Jahr das BEOKiz-Verfahren eingeführt werden. Neben dem größeren Bezug zum Berliner Bildungsprogramm sollte BEOKiz zusätzlich die Dokumentation und Beobachtung vereinfachen und vereinheitlichen. Doch trotz aller Möglichkeiten der Digitalisierung und der modernen Technologien entschied man sich dafür, BEOKiz vorläufig in Papierform zu implementieren. Eine digitale Version ist erst ab 2028 geplant. Eine Entlastung stellt dies für die Fachkräfte nicht dar, sondern führt stattdessen zu einem erheblichen Mehraufwand. Abgesehen davon erschwert die analoge Dokumentation eine einfache Weitergabe relevanter Informationen beim Übergang zur Schule, wenn für jedes Kind mehrere Ordner an Papier anfällt. 

Digitales Fachverfahren ISBJ-Kita: Zwischen Versprechen und Realität

Um die Verwaltungsaufgaben im Bereich der Berliner Jugendhilfe zu bündeln, wurde vor knapp 20 Jahren die allgemeine Funktion “Integrierte Software Berliner Jugendhilfe (ISBJ)” eingeführt. Die ISBJ fungiert als Dach aller IT-Fachverfahren der Jugendhilfe und ist eine verpflichtende Infrastruktur für Kita-Träger. Sie spielt eine zentrale Rolle bei der Abwicklung verschiedener administrativer Aufgaben, von der An- und Abmeldung von Kindern, über die Berechnung der Elternbeiträge bis hin zur monatlichen Träger-Abrechnung. Obwohl der ursprüngliche Gedanke hinter der ISBJ lobenswert ist, führt die zunehmende Anforderung von Datenerhebungen außerhalb dieser Plattform zu einer Fragmentierung der administrativen Aufgaben anstatt zu einer Bündelung. Erschwert wird die Arbeit mit der ISBJ zudem durch eine Serie von Fehlern, die mit dem letzten großen Update Anfang März 2024 auf der Plattform auftraten. Seitdem häufen sich Probleme, Fehlermeldungen und Störungen. Personaldaten können nicht mehr ordnungsgemäß eingetragen werden, und teilweise werden bereits eingetragene Daten nicht gespeichert. Die Ist-Soll-Werte des Fachpersonals werden völlig falsch angezeigt, was es für die Leitung und die Überprüfung durch die Kita-Aufsicht schwierig macht, eine verlässliche Personalplanung zu erstellen. Auf mehrfache Nachfragen beim Senat, ob einzelner Träger oder unsererseits als Verband bei der zuständigen Senatsverwaltung, wann diese massiven Störungen bereinigt werden sollen, erhalten alle Fragenden immer wieder vertröstende Aussagen. Nunmehr will die SenBJF zum Beginn des nächsten Kita-Jahrs - also August - die vollumfängliche und störungsfreie Nutzung der Integrierten Software Berliner Jugendhilfe (ISBJ) den Kita-Trägern wieder zusichern. Angesichts unserer Erfahrungen der letzten Jahre bleiben wir jedoch skeptisch.

Die bürokratische Fragmentierung für Kita-Träger

Wie bereits angedeutet, wird zunehmend der kluge Pfad der Bündelung und Digitalisierung verlassen und es entstehen wieder vermehrt Nebenschauplätze des Bürokratieauswuchses. Dazu zählen betriebsbezogene Meldungen, Personalmeldungen und Meldungen bei besonderen Vorkommnissen, welche separat und direkt an die entsprechende Kita-Aufsicht in der für Jugend zuständigen Senatsverwaltung gesendet werden müssen, da sie nicht in das ISBJ integriert sind. Die Umständlichkeit dieser Vorgehensweise wird besonders deutlich bei Meldungen über besondere Vorkommnisse. Aufgrund inkompatibler Dateiformate müssen diese manuell ausgedruckt, unterzeichnet, gestempelt und per Fax, Mail oder Post der Kita-Aufsicht zugeschickt werden. Hinzu kommen die Meldungen, die die Träger dem Gesundheitsamt übermitteln müssen. Dabei herrscht eine Uneinheitlichkeit bei den Meldebögen und den inhaltlichen Strukturen der Bezirke zu ein und demselben Themenfeld. Dies wurde besonders während der Corona-Pandemie offensichtlich, da verschiedene Bezirke unterschiedliche Anforderungen und Vorgehensweisen hatten. 

Zusätzlich zu all diesen bürokratischen Meldungen, sind Träger verpflichtet, regelmäßig Statistiken auszufüllen, wie die Kinder- und Jugendhilfestatistik, welche im Anschluss an das Landesamt für Statistik übermittelt werden müssen. Der Kita-Alltag ist somit geprägt von einem Dschungel aus Formularen, Meldungen und Dokumentationen. Die Einführung einer digitalen Lösung wie dem ISBJ war ein Schritt in die richtige Richtung, jedoch führte sie nicht zur erhofften Bündelung, sondern zu einer massiven Fragmentierung bürokratischer Prozesse. Eine Vereinheitlichung und Digitalisierung all dieser würde nicht nur den Trägern helfen, Zeit zu sparen, sondern auch den Behörden.

Der unsichtbare Zeitfresser Bürokratie

Die Kitaträger des Kitaverbands VKMK stemmen sich von Beginn gegen diese Fragmentierung, indem sie gezielt für ihre Bedürfnisse entwickelte Software-Lösungen einführen. Dennoch zeigt eine Umfrage des VKMK deutlich, dass der Bürokratieauswuchs der letzten Jahre diese geschaffene Effizienzen wieder auffrisst. Im Durchschnitt wird so eine wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden lediglich für die Abwicklung bürokratischer Prozesse benötigt. Diese Zeit wird nicht durch das Land Berlin refinanziert und fällt letztlich zu Lasten der pädagogischen Arbeit. Die Folgen davon sind regelmäßige Überstunden und Unzufriedenheit beim Personal, da die eigentliche Arbeit mit den Kindern durch all diese Anforderungen zu kurz kommt.

Es bedarf einer ganzheitlichen Strategie, die alle bürokratischen Verfahren eines Kita-Betriebs unter einem Dach vereint und die Prozesse drastisch vereinfacht. Bis dies nicht eingetreten ist, fordert der VKMK daher zusätzlich eine Entlastung des pädagogischen Fachpersonals durch die Einstellung und Finanzierung von kaufmännischem Verwaltungspersonal in Kindertageseinrichtungen. Diese Forderung stellt der VKMK nunmehr ununterbrochen seit sieben Jahren und dennoch wurde sie bis dato nicht richtig umgesetzt. Stattdessen nehmen die Verwaltungsaufgaben stetig zu und die Integration von Verwaltungskräften geschieht nur halbherzig. Zwar plant der Senat nun im Zuge der Verwaltungsreform einen einheitlichen Zuständigkeitskatalog, um die Verwaltung in Berlin effizienter zu gestalten und dem “Behörden-Pingpong” ein Ende zu setzen, doch werden die bürokratischen Aufgaben für Kita-Träger nach wie vor bestehen bleiben, wodurch der Appell an den Senat weiterhin aktuell bleibt. 

Der VKMK fordert das nicht zum Spaß oder aus Eigennutz, sondern aus pädagogischen Gründen, aus Gründen des Gesundheitsschutzes für unsere Beschäftigten und aus betriebswirtschaftlichen Erwägungen. Wir können den Euro nur einmal ausgeben und daher wollen wir ihn für die Qualität der frühkindlichen Arbeit am Kind und nicht für das Befüllen von Exceltabellen, auszudruckenden Melde-Fragebögen etc. ausgeben. Wir erwarten daher vom Senat ein Ende mit halbherzigen Lösungen oder hausgemachten digitalen Ineffizienzen und stattdessen das Implementieren ganzheitlicher, durchdachter Strategien, die das pädagogisches Fachpersonal spürbar von dem Auswuchs an Verwaltungsarbeiten entlasten. Nur so kann die Qualität der frühkindlichen Betreuung und Bildung verbessert und gewährleistet werden.