Lasst Kinder ein bisschen mehr Theater machen!

Bertolt Brecht sagte einst: “Alle Künste (also auch das Theater) tragen bei zur größten aller Künste, der Lebenskunst”. Diese Worte verdeutlichen die facettenreichen Fähigkeiten des Theaters, von denen insbesondere Kinder profitieren können. Anlässlich des heutigen Kindertheatertags wollen wir einen genaueren Blick darauf werfen, weshalb Kinder ein bisschen mehr Theater machen sollten.


In der Welt des Theaters können Kinder träumen, ihrer Fantasie freien Lauf lassen und Vorstellungen wahr werden lassen. Doch das Theaterspielen ist weit mehr als ein reiner Ausdruck der Kreativität. Theater kann für Kinder ein Ort sein, an dem sie ihre Persönlichkeit entfalten und stärken können. Beispiele wie das von der EU unterstützte DICE-Projekt (Drama Improves Lisbon Key Competence in Education) im Jahr 2010 verdeutlichen dies.* Hier wurde die Entwicklung von Kindern, die an einem schulischen Theaterprojekt teilnahmen, mit der Entwicklung von Kindern verglichen, die nicht daran teilnahmen. Innerhalb von nur vier Monaten waren Unterschiede zwischen den beiden Gruppen zu bemerken, wobei insbesondere Offenheit und Toleranz, wie auch aktive Beteiligung an Projekten bei der Theater spielenden Gruppe stark zunahmen. Theaterpädagogik Romi Domokowsky spricht sogar von ganzen 67 Persönlichkeitsmerkmalen, die durch die Theaterarbeit gefördert werden können und belegt zusammen mit Theaterpädagoge Maik Walter in einer gemeinsamen Studie im Jahr 2011 die positive Entwicklung für soziale und personale Kompetenzen bei Kindern durch das Theaterspielen.** 


Diese Entwicklung kann bereits bei kleinen und spontanen Rollenspielen geschehen. In Rollenspielen haben Kinder die Möglichkeit, in andere Rollen hineinzuschlüpfen und so die Welt aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Dadurch entwickelt sich das spontane Theater zu einer Art Experimentierfeld für die Realität. Kinder können unmittelbar erfahren, wie ihre Handlungen und Äußerungen andere beeinflussen und sie erleben, wie es sich anfühlt, jemand anderes zu sein. Soziale Kompetenzen wie Empathie und Selbstreflexion werden auf diese Weise gestärkt, was es Kindern auch im echten Leben erleichtert, sozial zu interagieren. Der kanadische Professor für Psychologie Glenn Schellenberg belegte in einem Experiment sogar, dass Theater die signifikanteste Förderwirkung in Bezug auf adaptive Sozialkompetenzen bei Kindern aufweist im Vergleich zu anderen künstlerischen Maßnahmen. Darüber hinaus unterstützt Theaterpädagogik die emotionale Entwicklung der Kinder. Beim Theaterspielen lassen sich Kinder meist intuitiv leiten, sie denken nicht viel nach und verfolgen kein großes Ziel. Auf diese Weise werden sie lediglich von ihren eigenen Erfahrungen und Emotionen geleitet, die sie im Rollenspiel ausleben und nachstellen können. Dabei lernen sie, ihre eigenen Gefühle zu erkennen, auszudrücken und zu kontrollieren. Sie lernen, wie sie konstruktiv mit Konflikten umgehen können und wie sie sich anderen gegenüber verhalten sollten.


Wenn Kinder gemeinsam ein Theaterstück spielen wollen, stellt sich zunächst die Frage nach dem Stück, das aufgeführt werden soll. Hier bieten sich Märchen, Bilderbücher aber auch die fantastischen und imaginären Vorstellungen der Kinder selbst an. In der Vorbereitung tauchen die Kinder tief in die Geschichten ein, entdecken immer mehr Einzelheiten und erkunden die Zusammenhänge, wodurch wesentliche kognitive Kompetenzen geschult werden. Beim Entwickeln von Charakteren, vom Raum und den Requisiten dürfen sie ihre Fantasie voll ausleben. Sie lernen, Dinge aktiv mitzugestalten und können direkt die Auswirkung ihres Engagements erleben. In der Inszenierung des Stückes haben Kinder zudem die Möglichkeit, sich über das reine Theaterspielen weiter auszuleben, indem sie Gesang oder Tanz integrieren. Während der Proben und der Aufführungen kommt es vor allem auf die Konzentrationsfähigkeit und das Sprachverständnis an. Sie lernen laut, deutlich und frei zu sprechen und können spielerisch erproben, wie sie ihre Stimme einsetzen können. Zusätzlich lernen sie selbstsicher aufzutreten und sich gestisch zu artikulieren. Dies verbessert nicht nur ihre Eloquenz, sondern auch ihr Selbstvertrauen im Ausdruck. Der gemeinsame Auftritt vor Publikum schließlich ist das Resultat ihrer Zusammenarbeit und verdeutlicht jedem Kind seine Bedeutung für den Erfolg des Stückes. Kinder lernen dadurch, ihre eigenen Fähigkeiten und Stärken zu erkennen und wie sie diese für ihren weiteren Lebensweg einsetzen können. 

Theater hat einen positiven ganzheitlichen Einfluss auf Kinder, indem es verschiedene Bereiche ihrer Entwicklung anspricht, von Sprache und Körperwahrnehmung über Kreativität bis hin zum Gemeinschaftssinn, Toleranz und Selbstbewusstsein. Im Theater können Kinder ihre Träume wahr werden lassen, das echte Leben erproben und erfahren, wie sie selbst auf kreative Art und Weise Einfluss nehmen können. Theater ist ein Ort, wo Kinder sich selbst entwickeln können und für das Leben lernen. Und nicht nur Bertold Brecht hat dies erkannt, auch die Pädagogen Klepacki, Ziraf und Liebau beschreiben in ihrer Arbeit “Theatrale Bildung”, “dass man im Theater etwas für das Leben in der Welt lernen kann, nämlich Eloquenz, Menschenkenntnis, Beherrschung des körperlichen und sprachlichen Ausdrucks, Selbstbewusstsein und soziales Verhalten [...].” Daher lautet die Devise: Lasst Kinder ein bisschen mehr Theater machen!


* https://www.dramanetwork.eu/file/Policy%20Paper%20long.pdf

**https://journals.ucc.ie/index.php/scenario/article/view/scenario-6-1-7/html-de