"Der Weg, den wir bisher gegangen sind, führt zu keiner Lösung." - Ein Interview mit Lars Békési

Ein Interview mit Lars Békési, Geschäftsführer des Verbandes der kleinen und mittelgroßen Kitaträger.

 

Der März hat spannend begonnen, im Bereich der frühkindlichen Bildung. Die Didacta in Stuttgart und der anschließende Berlin-Tag, Deutschlands größte Berufs- und Informationsmesse im Bildungsbereich, haben viele Einblicke ermöglicht in die aktuellen Chancen, Visionen und Perspektiven, welche die vielen Berufsfelder in den Bildungsinstitutionen mit sich bringen. Doch egal, wie optimistisch und innovativ die Idee oder die Personen dahinter auch waren, ein Thema konnte sich nicht abschütteln lassen: Die stetig wachsenden Problemfelder der Bildungsinstitutionen. Wir waren im Gespräch mit Lars Békési, Geschäftsführer der kleinen und mittelgroßen Kita-Träger, bezüglich der aktuellen Kita-Krise, den Hoffnungen für die aktuellen Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und SPD im Land Berlin - und, wie zielführende Lösungen im Bereich frühkindliche Bildung für ihn aussehen.  

VKMK: Herr Békési, Sie waren sowohl auf der Didacta 2023 als auch am Berlin-Tag diesen März anwesend. Neben den vielen Informationen vor Ort, wie würden Sie das allgemeine Gefühl des Fachpersonals bezüglich der Krise in der frühkindlichen Bildung beschreiben?  

Lars Békési: Meine Eindrücke aus Stuttgart und Berlin lassen sich so zusammenfassen, dass es sich beinahe wie ein “bundesweiter Überbietungswettlauf an negativen Botschaften” anfühlt. Die Problemfelder sind mittlerweile so mannigfaltig, dass sie dieses vielfältige und auch spannende Berufsfeld komplett zu überschatten drohen.  

VKMK: Was würden Sie sagen, bereitet den Kita-Trägern gerade insbesondere Kopfzerbrechen? 

Lars Békési: Definitiv das Thema “Fachkräfte finden und binden”.  Die Norm in den aktuellen Kitas ist eine Personalunterdeckung. Die Norm! Nicht der Ausnahmezustand. Das ist eine Konsequenz, die absolut natürlich ist, wenn man auf Jahre voller Überbelastung und Unterfinanzierung blickt, insbesondere in kleinen Kita-Trägern. Das schreit nicht gerade nach Entwicklungspotenzial oder einem Arbeitsumfeld, in dem man emotional, mental und gesundheitlich gestärkt den Alltag bewältigen kann. Im Gegenteil. Hohe Krankenstände und Fachkräfte-Abgänge sind an der Tagesordnung und selbstverständlich auch immer weniger eingehende Bewerbungen. Anfang März hat der VKMK auf Nachfrage bei der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie, hier endlich auch von politischer Seite das Zugeständnis der aktuellen Ist-Situation erhalten: “Wir haben aktuell einen Personalmangel”. Die Verantwortung, diesen auszugleichen, liegt jedoch wieder bei den Kita-Trägern selbst. Das gleicht natürlich einer Farce, wenn man in totgesparten Finanzierungstöpfe blickt, die eine Flexibilität oder Entscheidungsgewalt bei Personalfragen schlicht unmöglich machen. Gerade viele kleine Kitas stehen kurz vor der Insolvenz, haben einen hohen Mangel an pädagogischem Fachpersonal und nicht einmal mehr die notwendigen Gelder, um Personal anzuwerben, die die Personalunterdeckung ansatzweise ausgleichen könnten.  

“Die Norm in den aktuellen Kitas ist eine Personalunterdeckung.”

Das muss man sich einmal wirklich bewusst vor Augen führen: Selbst, wenn sich jemand findet, der sich von den Schlagzeilen des aktuellen Ist-Zustandes nicht abschrecken lässt und sich für die Berufslaufbahn “frühkindliche Erziehung” entscheiden möchte, bleibt ihm oder ihr oftmals die Türe am Ende doch verschlossen, weil nicht einmal mehr die notwendigen finanziellen Mittel vorhanden sind, um eine Ausbildung oder neue Anstellung zu finanzieren. Wenn angesichts des daraus resultierenden Arbeitskräftemangels dann das Problem endlich anerkannt wird, die Verantwortung aber weiterhin bei den Kitas bleiben soll, um hier eine Änderung umzusetzen, fühlen diese sich, milde gesagt, natürlich ordentlich auf den Arm genommen. Der Weg, den wir bisher gegangen sind, führt zu keiner Lösung oder Erleichterung der aktuellen Situation - sondern in eine gesellschaftliche und wirtschaftliche Sackgasse. 

VKMK: Sie sprechen davon, sich von alten Pfaden zu lösen, um neue Wege zu beschreiten. Wie sehen diese bestenfalls aus?  

Lars Békési: Wenn ich es kurz ausdrücken möchte: Mehr gezielte finanzielle Förderung, mehr Bein- und Entscheidungsfreiheit für die Kita-Träger selbst, mehr offene Dialoge bezüglich Lösungsfindungen mit den betroffenen Akteur:innen. Und eben die ganz klare Akzeptanz, dass Bildungspolitik nicht ohne Investitionspolitik umsetzbar ist.   

VKMK: Welche Lösungsvorschläge wünschen Sie sich hier? Was muss  vom Land Berlin in den kommenden Jahren umgesetzt werden?  

Ganz klar vorweg: Ein Anerkennen der Kitas als erste institutionelle Bildungsinstitution. Denn, noch ist das nicht der Fall. Für die Mehrheit der Menschen in Deutschland beginnt Bildung erst ab dem Grundschulalter und das ist ein fataler Fehler. Denn aus diesem Grund sind die Kitas in den nötigen Diskussionen, um dringend benötigte finanzielle Förderungen, oftmals gar nicht inkludiert. 

Für die Mehrheit der Menschen in Deutschland beginnt Bildung erst ab dem Grundschulalter und das ist ein fataler Fehler.”

Weiterhin: Im Sondierungs-Papier zu den Koalitionsverhandlungen von CDU und SPD steht, dass die Kitas weiterhin gebührenfrei bleiben sollen. Das ist natürlich etwas, was sich für viele Eltern erst einmal sehr positiv liest. Insbesondere ist dies eine Entlastung für alle, die sich den Beitrag schlichtweg nicht leisten können. Wir sehen aber in den letzten Jahren, dass der Beitrag, der nun von Seiten der Eltern nicht mehr erfolgt, vom Land Berlin schlichtweg nicht ausgeglichen wird. Das ist Geld, das schlicht und einfach entfallen ist. 23 Euro Kostenbeteiligung werden monatlich weiterhin von Seiten der Eltern entrichtet, je Kind, für die tägliche Essensversorgung vor Ort. Auch dieser Wert wurde seit 2010 nicht mehr geändert oder angeglichen. Das grenzt schon an Absurdität. An niemandem sind die immens gestiegenen Kosten der letzten Jahre vorbeigegangen - in wirklich sämtlichen Bereichen; Energiekosten, Mietkosten, Lebensmittelkosten, u.a., und dann noch den Zuwachs an Kindern, die Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz erheben. All das mit einbezogen, stellt man schnell fest: die finanziellen Mittel reichen vorne und hinten nicht. Im Bereich der Kitas werden hier aber beide Augen fest verschlossen. Würde man den monatlichen Beitrag zur Kostenbeteiligung für die tägliche Mittagsessensverorgung an die aktuellen Preise angleichen, so läge er vermutlich bei 60 Euro je Kind pro Monat. 

VKMK: Kitagebühren sollten also wieder eingeführt werden?  

Lars Békési: Jain. Das ist natürlich eine Aussage, die erst einmal auf Gegenwind stoßen kann und wird, weil sie sich vielmals so deuten lässt, als würde die finanzielle Verantwortung dann eben bei den Eltern liegen. Ich würde eher formulieren, “die Finanzierung der Kitas sollte neu überdacht und angepasst werden und hierfür sollten sämtliche Rahmen der Möglichkeiten reflektiert und ausgeschöpft werden - insbesondere; immer im Kontext der aktuellen wirtschaftlichen Lage".  Die Finanzierungssystematik für Kita-Träger muss an den aktuellen IST-Zustand angepasst werden. Sprich: Die Sachkostenpauschale (*) muss aktuelle Kosten für Lebensmittel, Energie,  und Gewerbemietkosten realistisch abbilden. Das betrifft selbstverständlich eben auch die Kostenbeteiligung von Seiten der Eltern, betreffend der Mittagsessensversorgung vor Ort. In erster Linie sehe ich die finanzielle Verantwortung rein beim Land Berlin mit seiner Regelfinanzierung. In zweiter Linie sollte geschaut werden, wie man schnellstmöglich den Ist-Zustand verbessern kann, mit den Rahmenbedingungen, die wir haben - und hierfür sollten auch die Eltern der Kinder mit einbezogen werden. Das bedeutet natürlich nicht, dass es einen finanziellen Richtbetrag geben sollte, der von allen gleichsam entrichtet werden muss. Sondern auch hier sollte, wie bei der Bildungsarbeit selbst, gesehen werden, dass nicht alle denselben Startpunkt und dieselben Möglichkeiten vorliegen haben und entsprechend Angleichungen vornehmen. 

  “Die Finanzierung der Kitas sollte neu überdacht und angepasst werden.”

VKMK: Wie würde denn eine ideale frühkindliche Bildungsinstitution für Sie aussehen? Welche Parameter müssen hier für Sie stimmen?  

 Lars Békési: Was vielen immer noch nicht bewusst zu sein scheint:  frühkindliche Bildungsarbeit ist auch Präventionsarbeit. Die fundamentalen Kompetenzen eines Menschen werden in den ersten Lebensjahren gesetzt und verankert. Das ist keine neue Wissenschaft, sondern mittlerweile alt-bekannt. Umso überraschender ist es, dass die Kitas nach wie vor nicht als Bildungsinstitution angesehen werden. Die Kompetenzen, die in der Kita vermittelt und oftmals, je nach soziokulturellem Hintergrund des Kindes auch angeglichen werden, um Bildungsgleichheit überhaupt bereits in der Grundschule im Ansatz ermöglichen zu können, sparen natürlich langfristige Nach-Förderungen in den darauffolgenden Jahren ein. Wir sprechen hier von mehreren Millionen im Jahr - allein im Land Berlin. Um es einfacher zu sagen - wir haben das alte Sprichwort: “Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr.” - setzen in der Förderung aber lieber dort an, wo Hans Nachhol-Bedarf hat, anstelle in die direkte Förderung von Hänschen zu gehen, um ihm die Schritte in der Zukunft zu erleichtern. Das ist für mich, nach wie vor, nicht erklärlich. Dieses Vorgehen führt schon ab dem Grundschulalter zu erheblichen Bildungs-Unterschieden bei den Kindern, die Lernprozesse unnötig erschweren und Bildungschancen schon ab den frühen Jahren schlichtweg nicht gerecht verteilen. In einer idealen Kita gibt es die Rahmen-Möglichkeiten, sich den individuellen Bedürfnissen und Startpositionen eines Kindes anzunehmen und hier mit der Förderung anzusetzen, um langfristige Erfolge zu erzielen. Kita-Sozialarbeit ist hier ein wichtiges Stichwort.  Mit gerade einmal 2 Euro pro Kind, pro Tag, könnte sich den Unterschieden und besonderen Bedürfnissen der Kinder und ihre Familien angenommen werden, durch zusätzliches Personal. Ein letztendlich sehr kleiner Betrag, der bereits eine große Änderung mitsichbringen könnte.

Frühkindliche Bildungsarbeit ist auch Präventionsarbeit.”

Des Weiteren würde in einer idealen Kita-Situation die Digitalisierung nicht noch in den sinnbildlichen Kinderschuhen stecken, sondern schon vollends genutzt und hier eben profitable in mehrfacher Hinsicht eingesetzt werden. Es gibt so viele Möglichkeiten der Entlastung und der Bereicherung in der Bildungsarbeit, die sich in der Digitalisierung noch verstecken. :. Alles, was gerade immens viel Zeit in Anspruch nimmt, beispielsweise Bürokratie, die im Kita-Alltag natürlich auch dazugehört, und insbesondere zu Zeiten des akuten Personalmangels erheblich belastet und von der so wichtigen unmmittelbaren Bildungsarbeit ablenkt, kann durch gut umgesetzte Digitalisierung deutlich im Aufwand reduziert werden.  Zusätzlich ist Bildungsvermittlung und Förderung mittels Digitalisierung eine Chance, die wir bisher noch nicht ausreichend wahrnehmen. Insbesondere Institutionen im multilingualen Bereich können hier erheblich profitieren. Digitalisierung ermöglicht individuelle Förderung einzelner Kinder ohne erheblichen Mehraufwand im Personal. Wir müssen anfangen hiermit zu arbeiten und Digitalisierung endlich als die Chance wahrnehmen, die es letztendlich ist. 

VKMK: Die Probleme sind, wie Sie erwähnt haben, mannigfaltig. Was wären denn Lösungsansätze, die man umsetzen könnte, um schnellstmöglich Ergebnisse zu erzielen?  

 Lars Békési: Neben den bereits genannten - schnellstmöglich könnte man auf die Fachkräfte “zurückgreifen”, die der frühkindlichen Bildung beruflich zugetan sind und in diesen Bereich einsteigen möchten. Wir haben in unseren Trägern beispielsweise viele Anfragen von Pflegefachkräften oder Personal aus anderen Bereichen. Gerade in den pflegerischen Arbeitsbereichen in einer Kita kann der Einsatz von Pflegefachkräften zur schnellen Entlastung der pädagogischen Fachkräfte führen. Simultan sollten im Hintergrund endlich die Weichen gestellt und diskutiert werden, die dann langfristig zu einer Verbesserung führen. Ein wichtiger Stichpunkt ist hier auch “Arbeitsnehmerüberlassung” beziehungsweise “Zeitarbeitsfirmen”. Gerade bei derartigem Personalmangel, wie es momentan an der Ordnung ist, wird hierauf oft zurückgegriffen, um die Personalunterdeckung schnellst möglichst auszugleichen. Das Problem: die Datenbanken sind gefüllt mit “gebrandmarktem” Personal. Facharbeitskräfte, die am eigenen Leib erlebt haben, was jahrelange Mehrfachbelastung bewirken kann. Die wenigsten sind noch bereit Früh- oder Spätdienste zu übernehmen, sich für eine 38h Woche zu verpflichten oder regelmäßig Zeit für Elterngespräche aufzubringen, ohne hier ein deutlich höheres Entgelt einzufordern. In der Not bleibt vielen Kitas nichts anders übrig, als diese Kosten aufzubringen und bisweilen wird es nicht vom Land Berlin kompensiert. Wichtig ist, dass man hier nicht den Fehler etwa beim Personal sieht, sondern bei den abschreckenden Rahmenbedingungen, die durch die jahrelange Unterfinanzierung in diesem Bereich schlichtweg zur Normalität geworden sind. 

Bildungspolitik ist immer zugleich Finanzierungspolitik. Und für eine erfolgreiche Bildungsvermittlung, müssen wir nun einmal bei den Kleinsten bereits ansetzen. Ich hoffe, dass das Land Berlin derzeit auch den Vorsitz der KMK innehat und damit auch diese Symbolkraft nutzen kann, sodass dies endlich geschieht.  

  Wir bedanken uns bei Herrn Békési für das interessante, lösungsorientierte Gespräch.

 *Einsehbar, hier: https://www.berlin.de/sen/jugend/recht/rahmenvertraege/