Die Meldungen der vergangenen Woche haben Wellen geschlagen und bundesweit zu Demonstrationen geführt. Im Fokus, die Funktionsträger der AfD und ihre offen rechts-populistische und demokratieaushöhlende Politik. Als Verband sind wir bemüht immer die journalistische Neutralität zu wahren. Doch im Angesicht der politischen und sozialen Entwicklung beginnt man den Wert des neutralen Raums zu hinterfragen. Wie können alle Stimmen gleichsam Gehör finden, wenn eine Seite den Rahmen beginnt zu dominieren? Diese Situation erfordert eine klare Positionierung von allen, die für Demokratie und Menschenrechte stehen.
Die aktuellen Zahlen und Meldungen sind erschreckend, und das aus verschiedenen Gründen. Noch vor vier Jahren wurde im Zuge der Debatte um George Floyd und Black Lives Matter vielseitig behauptet, "Deutschland habe kein Rassismus-Problem und sei nicht vergleichbar mit anderen Ländern, wie beispielsweise den USA." Obwohl vielen damals bereits bewusst war, dass es sich hierbei um einen fatalen Denkfehler handelte, wurde diese Sichtweise oftmals politisch beiseite geschoben. Hier wird sich meist in die altbekannte Sicherheits-Argumentation verstrickt; Deutschland sei schlussendlich ein Land mit einem hohen Bildungs-, ja auch Wohlstand. Die Aufarbeitung des zweiten Weltkrieges erleben wir alle durch mehrere geschichtliche Etappen in der Schulzeit und viele schätzen sich als informiert und gebildet genug um Rassismus, Vorurteile und Diskriminierungen benennen zu können. Und genau hier ist die Problematik verwurzelt. Dem Nicht-Anerkennen fundamentaler Lücken. Denn, trotz eines wohlmöglich hohen Bildungsstandes, ist unser Wissen selbsterklärend selektiv. Auch die Schulzeit, wenn man sie bis zum Abitur absolviert, ist nicht in der Lage sämtliche Hintergründe und politischen Entwicklungen flächig abzudecken. Die sozialen Medien setzen hier zusätzlich an und unterstreichen selektive Gedanken fundamental, in dem sie mittels des Algorithmus nur jene Informationen teilen, die mit uns und unseren Kenntnissen bereits räsonieren. Emotionen und Vorurteile werden mit gefährlichem Halbwissen weiterhin gefüttert und gestärkt.
Man sagt; „Am schwierigsten ist es ist jene Personen zu überzeugen, die überzeugt die Überzeugung hegen, sie wissen bereits alles.“
Ein Land mit einem hohen Bildungsstand stellt somit in keinster Weise einen erleichternden Rahmen dar in der Bekämpfung von rechten, diskriminierenden und vorurteilsbehafteten Denkweisen. Vielmehr kann es das eindringliche Vermitteln von Fehldenken und Trugschlüssen erschweren, da das bloße Eingeständnis eines mangelhaften Wissenstandes bereits einen erheblichen Kraftaufwand darstellen kann. Und hier gilt es jedoch anzusetzen, um (noch) harmlose Vorurteile zu bekämpfen, bevor sie größer werden. Denn selbst, wenn diese Vorurteile sich nicht gravierend verstärken, so können sie doch einen höheren Toleranz-Rahmen kreieren gegenüber jenen, die hier offen extreme Haltungen einnehmen.
Vorurteile betreffen die Gesellschaft als Ganzes
Nur die wenigsten beschäftigen sich in Eigenverantwortung aktiv mit der Aufarbeitung diverser Themen oder Hinterfragen ihre eigenen Kenntnisstände. Nicht verwunderlich erleben wir alle irgendwann vorurteilsbehaftete Aussagen, oder wurden schon einmal mit dem berühmten „Ich bin kein Rassist, aber…“-Argument konfrontiert, - sei es im familiären Rahmen, der Arbeit oder gar dem freundschaftlichen Sozialkreis. Sei es von dem Nachbarn, der nie das Land verlassen hat - oder von der Akademiker Freundin, die seit Jahren die Welt bereist. Vorurteile begegnen uns in sämtlichen, gesellschaftlichen Schichten. Wir alle tragen sie in uns - manche stärker - manche schwächer. Aber eine Aufarbeitung dessen müssen wir alle erleben, um uns von ihnen zu befreien.
Unterhält man sich mit Menschen, die starke Vorurteile hegen, wird einem oftmals schnell bewusst; das diese nur in den wenigsten Fällen einem informativen Kenntnisstand entsprungen sind. Vielmehr handelt es sich um ein faktenloses Gefühl. Entstanden durch Medien, selektiven Fokus und die nicht vorhandene Bereitschaft sich hier umfänglich zu informieren. Dieses Gefühl wird jedoch meist mit einer Überzeugung verbalisiert, welche Sorgen, Ängste und teilweise Wut unterstreicht und somit nicht nur die Meinung über bestimmte Gruppierungen nachhaltig beeinflussen, sondern auch dazu führen kann, dass Informationen, die das Bild verändern könnten, ignoriert werden.
Wenn das Bild also nicht pro-aktiv im Alltag durch Erlebnisse verändert wird, verändert es sich meist kaum bis gar nicht mehr und wird teils noch verstärkt. Nicht überraschend sind daher die Zahlen der rechts-populistischen Parteien, sei es in Deutschland, Frankreich, Belgien, Österreich, den Niederlanden und vielen mehr, die ihre größte Wählerschaft meist auf dem Lande finden. Gerade also jenen Regionen, die einen sehr geringen Migrations-Anteil aufweisen und kaum Berührungspunkte zu Menschen mit Migrationshintergrund bieten. Die Vorurteile sind nicht erlerbt, sondern erlernt. Die Großstädte dagegen spiegeln oftmals ein deutlich geringeres Wahlergebnisse bei eben jenen Parteien wider. Durchschnittlich zehn Prozent der AfD Wähler:innen entschieden sich dort für die Partei, im Vergleich zu bis 23 % in den ländlichen Regionen.
Die einseitige Wahrnehmung der Gesellschaft.
Die wenigsten informieren sich tatkräftig oder besprechen engagiert problematisches Verhalten seitens deutscher Staatsbürger ohne Migrationshintergrund. Wir schauen zum Beispiel auf die vielen Anfeindungen und negativen Sterotypen, denen die türkische Gemeinschaft bis heute gegenübergestellt war, nachdem viele proaktiv als Gastarbeiter von Deutschland angeworben wurden, um dabei zu helfen den Fachkräftemangel zu bekämpfen. Die wenigsten sprechen in diesem Zuge überhaupt darüber, dass Deutschland diese Menschen in den 60er Jahren aktiv zum Kommen gebeten hat und wie sehr uns dies bereichern konnte. Die NSU-Prozesse stellen bei vielen große Wissens-Lücken dar. Antisemtische Übergriffe werden kaum diskutiert. Kaum einer thematisiert noch das Attentat in Hanau, dem 10 Menschen mit Migrationshintergrund zum Opfer fielen.
Alleine 2022 gab es über 151 politisch motivierte Straftaten, bei denen die Unterkünfte für Geflüchtete Angriffsziel waren. PEGIDA (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes) zog bereits 2014 durch die Bundesländer Deutschlands und unterstrich die politische Ideologie hier klar und lautstark.
Doch, mit der selben Stärke der Ignoranz gegenüber der Fehlbarkeit Deutscher Staatsbürger ohne Migrationshintergrund liegt der Fokus eines Problems meist bei der Migration selbst. Als die neusten Bildungsstudien im Jahre 2023 erschienen sind, war der erste Impuls vieler Politiker:innen und Bürger:innen, die starke Abnahme des Bildungsstandes in Relation setzen zu wollen, mit Menschen mit Migrationshintergrund. Doch, obwohl die Studien ein anderes Bild zeichnen, und die deutsche Bildungslandschaft, seit über 20 Jahren aktiv mit einer Unterfinanzierung zu kämpfen hat, die selbsterklärend Konsequenzen mit sich bringt, wird an diesem Bild vehement festgehalten.
Antisemitismus wird aufgrund der schrecklichen Szenen in Israel seit Wochen in den Medien behandelt und hier mehrheitlich als „importiert“ bezeichnet. Der Anschlag eines Deutschen, vor der Synagoge in Halle (Saale) am 9. Oktober 2019, der als Versuch eines Massenmordes an Juden verzeichnet war, wurde hier nicht einmal erwähnt. Die medialen und politischen Debatten unterstreichen es immer wieder; den Trugschluss gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund und den Trugschluss gegenüber den Deutschen ohne Migrationshintergrund. Die mediale sehr einheitliche Berichterstattung hier, formt und stärkt dieses Bild zusätzlich zunehmend.
Ein “Nein” zur AfD wird nicht die finale Lösung sein
Die Politik hat in vielerlei Hinsichten die Bedürfnisse der Bürger:innen vernachlässigt und einen Nährboden geschaffen, der bei vielen von Sorgen und Existenzängsten geprägt ist. Deutschland steht momentan vor zahlreichen Herausforderungen, von Wirtschaftskrise und Corona-Nachwehen bis hin zu einer Reduzierung des Bildungsniveaus, deutschlandweitem Fachkräftemangel und Ängsten bezüglich der Zukunft, einschließlich der Absicherung durch die Rente. Dieser Nährboden lässt ablehnende Haltungen aufkeimen und erstickt wohlwollende Gedanken gegenüber jenen, die kommen. Und genau auf diesem Nährboden säht die AfD und verwurzelt sich zunehmend.
Während man sich in den vergangenen Jahren noch in die Hoffnung retten konnte, dass die steigenden AfD-Zahlen reine Protestwähler:innen seien, zeigten die Wahlergebnisse in Bayern 2023 bereits eine andere Tendenz. Nur noch 46 Prozent der AfD-Anhänger:innen gaben an, die Partei aus Enttäuschung über andere Parteien zu wählen. Diese Zahl verzeichnete bereits einen Rückgang von 10 Prozentpunkten im Vergleich zur Landtagswahl 2018. Gleichzeitig stieg die Zahl derer, die die AfD aus Überzeugung wählten (Bayrischer Rundfunk). In Hessen gaben 51 Prozent der AfD-Wähler:innen an, dass Migration das ausschlaggebende Thema für ihre Wahlentscheidung war. Bildung und soziale Themen dagegen erlangten hier gerade einmal einen auschlaggebenden Wert bei unter 10%. Die Motivation, aus welcher eine Mehrheit sich für eine rechtspopulistische Partei entscheidet liegt auf der Hand; ihre rechtspopulistische Politik.
An diesem Punkt ist es wichtig, ehrlich zu sein – mit sich selbst und mit der deutschen Bildungslandschaft und Politik. Es ist entscheidend, einen Rahmen zu schaffen, um bestimmte Denkweisen im Keim zu verändern, umzulenken und positiv zu beeinflussen. Doch dafür muss ein klares Eingeständnis stattfinden, welches Gedankengut fruchtbaren Nährboden für späteren Rechtsextremismus stellt, um dies bereits bei der Wurzel zu packen.
Ein Abschaffen der AfD könnte für kurzweilige Erleichterung sorgen - würde jedoch nicht die Gedanken der breiten Wählerschaft ändern, sondern das Gefühl politisch in Sorgen und Ängsten nicht wahrgenommen oder gar ignoriert zu werden, verstärken und vorurteilsbehaftete Ideologien keineswegs nichtig machen. Eine politische Änderung ist notwendig, um den Menschen andere Hoffnungen zu bieten, als jene, die sich in der falschen Ablehnung gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund verbergen. Es ist an der Zeit, anzuerkennen, dass unsere Politik fehlbar ist, und die Verantwortung gezielt zu übernehmen, damit diese nicht auf diejenigen übertragen wird, die gesellschaftlich bereits am schwächsten aufgestellt sind.
Die Trugschlüsse zur AfD
Die AfD wägt sich als gefährliche Lösung für unsere gesellschaftlichen Herausforderungen. Doch wie sehen diese Lösung letztendlich aus? Bereits im Juni 2023 hat die Partei ihren Leitantrag zum Wahlprogramm der AfD veröffentlicht. Die Migrationspolitik stellt einen Großteil ihres Antrages dar und dies bewusst - hat sich doch in Deutschland zunehmend das große Bild der Sorge hier verwurzelt. Hier ziehen sie sogar vor, als Konsequenz, die EU als solches aufzulösen.
„Unsere Geduld mit der EU ist erschöpft. (…) Da die EU, auch wegen des Einstimmigkeitsprinzips aller Mitgliedstaaten, nicht im Sinne der AfD reformierbar ist, treten wir für die Neugründung einer europäischen Wirtschafts- und Interessengemeinschaft ein“
Sie stürzen sich in diversen Punkten auf ein „sichern“ von Deutschland, durch eine Ablehnung bezüglich bestimmter Gruppierungen und erwähnen unter anderem auch den Anstieg der Migrationen im Zuge des Gastarbeiter-Abkommens:
„Seit den 60er-Jahren sind nach und nach immer mehr Migranten nach Deutschland und Europa gekommen, insbesondere aus den Staaten des islamischen Kulturkreises.“
Hier erwähnen sie das Abkommen selbst mit keiner Silbe, viel eher stellen sie die Migration verklärt und hochstilisiert dar und schreiben von einer„einheimischen Bevölkerung, die fast vollständig verdrängt wurde.“ Sie konzentrieren sie sich auch auf Antisemitismus, den sie als „neu in Erscheinung tretenden“ beschreiben und tief im Islam verwurzeln. Sie sprechen von massiven gesellschaftlichen Verwerfungen, durch Asyl-, und Migrationspolitik und ihre Lösung scheint sich rein im großflächigerem Abschieben derer zu verankern - nicht aber in einer vernünftigen Integrationspolitik.
Nach einer verändernden Innenpolitik, welche versprechend mehr Gelder für die Gesellschaft, die Bildung und Forschung als solches bereitstellen würde, oder ein starkes Konzept gegen den bundesweiten großflächigen Fachkräftemangel, sucht man vergeblich. Gleichstellung, die Rechte der Frau, ja sogar die frühkindlichen Bildungsinstitutionen sollen große Rückschritte erleben.
„Die in den letzten Jahren immer weiter stattgefundenen Übernahmen der elterlichen Erziehungsaufgaben durch staatliche Institutionen wie Krippen und Ganztagsschulen, die Umsetzung des Gender-Mainstreaming und die allgemeine Betonung der Individualität untergraben die Familie als wertegebende gesellschaftliche Grundeinheit.“
Die AfD will sich dafür einsetzen, bestehende Gender-Lehrstühle nicht neu zu besetzen und laufende Projekte nicht zu verlängern. Das Kopftuch solle im öffentlichen Raum generell verboten sein und zuletzt betonen sie offen: „Wir lehnen das Konzept einer multikulturellen Gesellschaft sowie der Parallelgesellschaften ab.“ In sämtlichen Bereichen entdeckt man, dass jene, die gesellschaftlich bereits heute statistisch schlechter aufgestellt sind, die größten Probleme erleben werden.
„Re-Migration“ / Deportationen
Die AFD hegt den Wunsch nach einer umfassenden Re-Migration, die im Wesentlichen einer groß angelegten Deportation gleichkommt. Im Zuge einer Recherche von Correctiv wurde aufgedeckt, wie hochrangige AfD-Mitglieder, Rechtsradikale und Unternehmer:innen in einem Landhaus bei Brandenburg zusammenkamen, um Wege zu erörtern, wie der demokratische Rechtsstaat durch „eigene Mittel ausgehöhlt“ und anschließend gehandelt werden könnte. Der österreichische Rechtsextreme Martin Sellner äußerte auf diesem Treffen den Wunsch, "Asylbewerber, Ausländer mit Bleiberecht und nicht assimilierte Staatsbürger" nach Nordafrika zu deportieren, was unter dem Terminus "Remigration" firmierte. Dieser rechtsextreme Begriff strebt die massenhafte Deportation aller nicht deutschstämmigen Menschen an, mit dem Ziel einer ethnisch homogenen Volksgemeinschaft. Jede/r, die/der sich für Menschenrechte und die Erhaltung der Demokratie einsetzt, sollte sich entschieden gegen solche Bestrebungen stellen, die grundlegende Werte bedrohen.
Integration als Chance
Menschen mit Migrationshintergrund stellen eine immense Stärkung dar, die sich in sämtlichen Bereichen entfaltet: sei es in Bildung, Wissenschaft, Forschung, Pflege, IT, Journalismus, Reinigung oder Betreuung. Ihre vielfältigen Erfahrungen und Qualifikationen tragen dazu bei, bestehende Lücken zu schließen und das gesamte gesellschaftliche Gefüge in Deutschland zu stärken. Ein Abschieben im "großen Stil", wie es von der AfD vorgeschlagen wird und sogar von Bundeskanzler Olaf Scholz in einer kürzlichen Rede angedeutet wurde, birgt, abgesehen vom moralischen verwerflichen Standpunkt, zusätzlich die Gefahr erheblicher wirtschaftlicher Probleme in sämtlichen Berufszweigen. Eine solche Massenausweisung von Menschen kann und wird nicht nur zu einem verstärktem Fachkräftemangel führen, sondern auch wirtschaftliche Sektoren in vielfältiger Hinsicht beeinträchtigen. Von der frühkindlichen Bildung über die Gesundheitsversorgung bis hin zur Industrie und anderen Dienstleistungssektoren sind viele Branchen auf die Diversität und das Engagement von Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund angewiesen. Viel eher sollten wir die Potenziale effektiv nutzen, welche diese Menschen mit sich bringen und uns viel mehr darauf fokussieren, ihre Wissens- und Kenntnisstände besser zu integrieren. Eine gezielte Integrations-Politik ermöglicht nicht nur eine schnellere Eingliederung, sondern fördert auch ein harmonisches Zusammenleben und Zusammenarbeiten in unserer vielfältigen Gesellschaft.
Unberechenbare Wellengänge
Nicht nur der offenkundige Rechtsruck in Deutschland und die jüngsten Enthüllungen über die AfD sind erschreckend, sondern sie schaffen auch ein feindliches und unfruchtbares Klima für jeden/r, dem/der Gleichstellung, Toleranz, Akzeptanz und Demokratie wichtig sind. Die langfristigen Auswirkungen dieser problematischen Haltungen und Handlungen sind noch nicht absehbar.
Die AfD propagiert in ihrem Wahlprogramm eine selektivere Migration von hoch qualifizierten Fachkräften. Abgesehen davon, dass man ein Menschenleben nicht nach seiner Produktivität und seinem Bildungsstand messen darf, werden selbst jene, die von der Selektion profitieren könnten, diese vermutlich durchaus kritisch sehen. Im Zuge der Globalisierung sind die stark gebildeten, hochqualifizierten Fachkräfte von heute in der Regel auch weltbereist, belesen und mit Menschen von überall auf der Welt verbunden. Genau jene, die Deutschland ebenso dringend benötigt, insbesondere in Wissenschaft, Forschung und Medizin, werden sich mit den Werten einer xenophoben Partei wohl kaum großflächig identifizieren können und das gesellschaftliche Milieu als lebenswert ansehen. Die Zuwanderung von eben auch genau jenen Personen wird voraussichtlich einen Rückschlag erleben, und die Tendenz, dass Menschen, die ihr Glück anderswo suchen können, das Land verlassen, wird sich sicherlich verstärken. In den sozialen Medien kursieren bereits verschiedene Videos mit dem Hashtag #wohinjetzt, in denen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund in den Kommentarspalten diskutieren und Länder ins Gespräch bringen, in denen das gesellschaftliche Klima als lebenswerter und erstrebenswerter empfunden wird als in Deutschland.
Eine starke Warnung fordert starke Lösungen
Die deutsche Politik steht vor einem gravierenden Problem der Verantwortungsübernahme. Immer wieder erleben wir, wie Herausforderungen übergangen werden, Probleme seit zwei Jahrzehnten diskutiert werden und Lösungsansätze zwar besprochen, aber in der Umsetzung auf sich warten lassen. Das Auftreten von Symptomen wird dabei meist nur partiell behandelt, während die eigentliche Ursache des zugrundeliegenden Problems selten bis kaum adressiert wird. Ob es um Bildung, Fachkräftemangel, hohe Krankenstände im Land oder gesellschaftliche Themen wie Migrationspolitik und das pro-aktive Schaffen von Offenheit und Toleranz geht. Die alarmierenden Zahlen der AfD sind erschreckend, aber nicht überraschend. Die politische Landschaft sollte nicht den Fehler begehen, mit diesem Wahlprogramm konkurrieren zu wollen, indem sie Ideologien reproduziert, die fälschlicherweise zunehmend als gesellschaftliche Lösungen angesehen werden. Vielmehr sollte sie sich mit realen, fundierten Lösungen auseinandersetzen, die die zugrundeliegenden Strukturprobleme angehen und eine nachhaltige Veränderung ermöglichen.
In Anbetracht des aktuellen politischen Klimas ist es ebenso von entscheidender Bedeutung, Aufklärung verstärkt in den Fokus zu rücken. Dies gilt sowohl im politischen Kontext und insbesondere in Bildungsinstitutionen, als letztendlich in Eigenverantwortung auf privater Ebene. Die Notwendigkeit, Vorurteile und Gedankengut, das sich möglicherweise in rechtsextreme Entwicklungen ausbreitet, frühzeitig zu erkennen und zu beheben, ist absolut unverzichtbar. Ein einheitliches Verständnis darüber, wo Aufklärungsarbeit bereits im Keim beginnen muss, ist entscheidend, um verzögerte Reaktionen zu vermeiden, die erst dann erfolgen, wenn problematische Einstellungen bereits manifestiert sind.
Als Verband lehnen wir entschieden die rechtspopulistischen Ideologien der AfD ab. Gleichzeitig sehen wir uns auch in der Verantwortung, die weiteren Wahlprogrammpunkte kritisch zu hinterfragen, welche zum Teil dazu neigen, gesellschaftliche Probleme auszuklammern oder sogar zu verschärfen und dementsprechend aus vielerlei Hinsichten keine Lösung darstellen. Deutschland benötigt dringend Hoffnung und einen konstruktiven Umgang mit Ängsten und Sorgen. Es ist entscheidend, Lösungen zu finden, die die Lebensqualität für alle verbessern und Ängste nicht durch das klassische Bereitstellen eines Sündenbocks in Form von Millionen Menschen in Deutschland zu befeuern. Die aktuelle Situation kann man als deutlichen, letzten Warnschuss verstehen.
Wir hoffen die Politik hört hin.