Berlin hat abgestimmt. Die Wahlwiederholung ist entschieden. Nach diesem Entscheid öffnen sich nun die wichtigsten Diskussionen: Sondierungen zwischen den Parteien, anschließende Koalitionsverhandlungen müssen durchgeführt und letztlich ein neuer Senat gebildet werden. Dabei liegt auch die Frage nach der Zukunft der frühkindlichen Bildung – der Bildungschance jedes Kindes- auf dem Tisch.
Wir haben mit dem Geschäftsführer der kleinen und mittelgroßen Kita-Träger in Berlin (VKMK), Lars Békési, zu dem Wahlergebnis gesprochen.
Für ihn steht eines fest: Die kommende Koalition muss ein inhaltliches und finanzielles Bekenntnis für eine qualitative, zukunftsgerichtete Bildungspolitik geben. Diese beginnt ab der ersten Bildungsinstitution Kita, denn hier werden die Grundlagen für alles (danach kommende)gelegt. “Es wird Zeit, dass dies auch politisch anerkannt und dementsprechend behandelt wird.”
Zeit verlieren können wir hierbei nicht. “Im Hintergrund beginnen bereits die Haushaltsverhandlungen für 2024/2025.
Ein “Weitermachen, wie bisher” darf nicht stattfinden.”
Ein Blick in den Sektor der frühkindlichen Bildung unterstreicht die Dringlichkeit. Unterfinanzierung und Überbelastung gehen hier Hand in Hand und führen zu einem stetig wachsenden Berg an mannigfaltigen Herausforderungen. Der Mangel an Personal hat die Qualifikationen in der frühkindlichen Betreuung schwammig werden lassen - und dennoch lassen sich die vielen fehlenden Stellen schwer bis kaum besetzen. Die vielen Krankenstände, Abgänge und der große Rückgang an Bewerbungen sind die letzten Symptome eines Sektors, der seit Jahren tot gespart wurde.
Ein Sektor der oftmals aus Personal bestand, das dem Beruf aus Leidenschaft nachging. Die Hürden, die hier oftmals zu überkommen sind, sind der frühkindlichen Bildungsprofession unwürdig und lenken den Fokus von der Schönheit des Berufes ab – ganz zu schweigen von der immensen Wichtigkeit, die dieser Sektor nun einmal auch gesellschaftlich darstellt. Hier werden die Erwachsenen von morgen gefördert und gefordert. Und dies sollte, wenn man eine gute Zukunftsprognose stellen möchte, ebenfalls im guten Bereich stattfinden.
Lars Békési formuliert es ganz klar: “Wir brauchen Handlungen. Und zwar jetzt. Eine Investition in eine flächendeckende Kita-Sozialarbeit ist nur ein Teilaspekt. Für eine ausreichende Bildung, die einen guten Grundstein für die Zukunft unserer Kinder legen kann, muss der Fokus ebenfalls stark auf den Sprach-Kitas liegen und auf einer Personalausstattung, die natürlich nicht nur qualitativ hochwertig sein sollte, sondern ebenfalls kindgerecht agieren kann. Wir sehen in den letzten Jahren einen starken Rückgang an Hochschulabsolventen im Bereich frühkindlicher Bildung. Dagegen steht ein starker Anstieg in den berufsbegleitenden Ausbildungen. Wir müssen aufpassen, dass wir aufgrund des Personalmangels nicht nur händeringend versuchen, die Quantität anzugleichen, sondern hier auch weiterhin stark den Fokus auf der Qualität zu behalten. Frühkindliche Bildung ist das Fundament aller zukünftigen Bildungschancen. Gerade hier benötigt es Spezialisten, die top ausgebildet sind.”
Doch, wie viel Qualität und Kompetenzen sind überhaupt vermittelbar, bei derart großem Personalmangel?
Wie viel Raum für Förderung bleibt bei all dem, gepaart mit zusätzlichen finanziellen Sorgen? Und, wie kann man qualifizierte Fachkräfte anwerben und eben auch halten, bei einer Berufsaussicht, die mit täglicher Überbelastung winkt und zusätzlich keine entsprechende Wertschätzung oder Entlöhnung bieten kann?
Das sind die Fragen, die wir uns stellen müssen. Und auf diese wir eben auch Antworten finden müssen, wenn wir den Sektor der frühkindlichen Bildung endlich in seiner Verantwortlichkeit endlich anerkennen: Hier wird der Grundstein gelegt für eine erfolgreiche Zukunft des Erwachsenen von Morgen. Kompetenzen werden hier gelegt, gefördert und gefordert. Die gesellschaftliche und auch wirtschaftliche Entwicklung innerhalb Deutschland ist eng mit der frühkindlichen Bildung verwoben. Es ist an der Zeit, dass die Kindertagesstätten als Bildungseinrichtung angesehen und dementsprechend behandelt und finanziert werden.
Das Berliner Bildungsprogramm (BBP) wird nun nach 10 Jahren wieder aktualisiert. Und auch hier wusste man schon damals, was heute offensichtlich an Aufmerksamkeit verloren hat: "pädagogische Arbeit gemäß dem BBP braucht qualifizierte Fachkräfte".
Die Angst, dass diese Erkenntnis mehr und mehr in den Hintergrund rücken wird, ist im Anblick der momentanen Situation mehr als berechtigt. Das politische Agieren hier glich die letzten Jahre nicht einmal mehr einer regelrechten Blindheit dem aktuellen Ist-Zustand und den möglichen Konsequenzen gegenüber, sondern schierer Ignoranz, die sich in etlichen Handlungen und Nicht-Handlungen widergespiegelt hat. Starke Kostenexplosionen, erhöhte, krankheitsbedingte Ausfälle und allgemeiner Personalmangel sind nur einige der vielen Problematiken, mit denen sich die Kitas im Alltag auseinandersetzen müssen, ohne eine Lösung in Sicht.
Der Fokus ist schon lange von der frühkindlichen Bildung abgekommen und schweift stattdessen von einem Nebenschauplatz zum anderen. Die starke Bürokratie des Finanzierungssystems sowie ausufernde fachfremden Verwaltungsarbeiten der Fachkräfte tut ihr Übriges und rückt die Aufmerksamkeit endgültig in andere Bereiche. Denn während man ein Kernproblem beheben möchte, muss man sich durch etliche Dokumentationen und Anträge kämpfen, die das Prozedere erschweren, in die Länge ziehen und letztlich den Fokus zerstreuen.
Lars Békési kennt diese Problematik nur zu gut: “All diese Prozesse - all diese Entscheidungen werden zusätzliche Steuergelder kosten. Es ist an der Zeit, dass die –Haushalts-Politiker:innen endlich auf die Kolleg:innen der Bildungspolitik hören. Sie haben die entscheidende Fachexpertise. Sie wissen, wo es brennt - was zu tun ist - und warum es wichtig ist. Es ergibt schlichtweg keinen Sinn hier Diskussionen zu führen und Entscheidungen zu fällen, ohne regelmäßig auf die Expertise von jenen zurückzugreifen, die mit der Thematik täglich involviert sind. Beziehungsweise, das Nicht-Hinhören und Nicht-Hinsehen, das lange Zeit betrieben wurde, fällt uns endgültig auf die Füße - wie erwartet. Es ist endlich an der Zeit für einen offenen und ehrlichen Dialog. Und ich betone hier “offen” - da der erste Reflex oftmals das Gegenteil darstellt. Das Argument “Es ist kein Geld mehr da” kann und darf hier nicht mehr als Totschlagargument gelten. An diesem wurde sich schon viel zu lange bedient. Es wurde als Argument genommen, Lösungswege zu umgehen, in der frühkindlichen Bildung noch mehr einzusparen und Gelder umzuschichten, die schlichtweg nicht vorhanden sind. Die mannigfaltigen Herausforderungen, vor denen die Berliner Kitas nun stehen, sind die Konsequenzen aus einem Totsparen, das bereits seit Jahren stattfindet. Wir befinden uns in einer Abwärtsspirale und die gilt es jetzt zu durchbrechen.”
“Jeder “Neuanfang” beinhaltet natürlich auch Chancen
Das Ergebnis der Wahlwiederholung sieht Lars Békési auch als Chance.
“Jeder “Neuanfang” beinhaltet natürlich auch Chancen. Ich bin überzeugt, dass jetzt Diskussionen auf dem Tisch landen können, die hier viel zu lange ignoriert wurden. Dass Problematiken ehrlich und strukturiert durchleuchtet werden. Dass sich die Zeit genommen wird, Lösungswege zu finden. Dass die Kommunikation offener wird, genau wie die Annahme von Feedback. Das sinnbildliche Kind ist schon lange in den Brunnen gefallen. Es gilt nun, dass sich alle Akteure der frühkindlichen Bildung zusammensetzen und sich den großen Fragen stellen: Wie finden wir einen Ausweg aus der Bredouille? Und: Wie können wir eine Richtung einschlagen, die das Wohl und die individuellen Bildungschancen der Kinder endlich im Fokus hat?”, und sodann einen Lösungsweg definieren und gemeinschaftlich umsetzen.”