Im Wandel der Zeit: Wieso Übergriffe in Kitas in der Vergangenheit oft unbemerkt blieben.

In den deutschen Medien ist ein brisantes Thema in den Fokus gerückt: Übergriffe in frühkindlichen Bildungsinstitutionen. Die Statistiken und die aktuelle mediale Behandlung könnten auf den ersten Blick alarmierend wirken und den Eindruck eines Anstiegs von Übergriffen erwecken. Doch dies wäre ein Trugschluss.

Unsere Gesellschaft hat zweifellos ein gesteigertes Bewusstsein für Übergriffe entwickelt, welches sich deutlich in den aktuellen Statistiken widerspiegelt. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass die Behandlung dieser Thematik nicht isoliert, sondern im Kontext des gesellschaftlichen Wandels erfolgen muss. Viele Vorfälle, die heutzutage erkannt, behandelt und festgehalten werden, hätte man vor noch 50 Jahren als Dunkelziffer erahnen müssen.

Der Gedanke, dass "früher alles besser war", entspringt nicht selten einer unzureichenden Berücksichtigung zahlreicher marginalisierter Gruppen, die in der Vergangenheit nicht die angemessene Aufmerksamkeit ihrer alltäglich erlebten Herausforderungen erhielten. Unter diesen Gruppen befinden sich zweifellos auch Kinder, und die oftmals erlebten Situationen in Kindertagesstätten und Schulen, die unter der heutigen Betrachtung abwegig erscheinen. Viele Vorfälle von Übergriffen - emotionaler, körperlicher oder sexueller Art - blieben in der Vergangenheit oftmals unbemerkt oder unbehandelt. Die Gründe hierfür sind meist im gesellschaftlichen Kontext verankert:

  1. Tabuisierung: Kindesmissbrauch war ein tabuisiertes Thema, das oft im Verborgenen blieb. Familien und Gemeinschaften zögerten, solche Vorfälle zu melden oder darüber zu sprechen, aus Angst vor sozialer Stigmatisierung oder Repressalien. Dies führte nicht selten zu:

  2. Bagatellisierung: In einigen Fällen wurde Kindesmissbrauch von Erwachsenen in Machtpositionen oder sogar von Mitgliedern der eigenen Familie ignoriert oder bagatellisiert. Kinder hatten somit oftmals wenig Chancen, Gehör zu finden.

  3. Mangel an Unterstützungssystemen: Es gab weniger Unterstützungssysteme und Ressourcen für die Opfer von Kindesmissbrauch, sowie deren Angehörige. Es fehlten Schutzdienste, Beratungsdienste und spezialisierte Organisationen, um Kindern und ihren Familien zu helfen.

  4. Rechtliche Schwächen: Die rechtlichen Instrumente zum Schutz von Kindern vor Missbrauch waren oft weniger entwickelt und weniger wirksam. Die rechtlichen Anforderungen an Kindertageseinrichtungen, sowie die Schulungen der Fachkräfte oblagen anderen Grundvorraussetzungen, als heute. Konzepte zum Schutz von Kindern- und Jugendlichen in Einrichtungen (gemäß §§ 45, 79a SGB VIII), sind beispielsweise erst seit dem 1. Januar 2012 gesetzlich vorgeschrieben.

Trotz der zutiefst erschütternden Natur eines jeden Vorfalls und der unbestreitbaren Tatsache, dass die betroffenen Kinder und Angehörigen unser Mitgefühl und unsere Empathie in höchstem Maße verdienen, ist es essenziell, dass wir in dieser Situation nicht übersehen; dass die Vorfälle nunmehr erkannt, gebührend behandelt und auf gesellschaftlicher Ebene zur Diskussion gestellt werden – ein Fortschritt, der Hoffnung erwecken kann, jedoch medial oftmals untergeht.

Reißerische Überschriften und die Instrumentalisierung der Schicksale, um eine möglichst breite Leserschaft anzuziehen, sind bedauerlicherweise ein Phänomen der heutigen Zeit, welches oftmals für eine Mischung aus Entsetzen und Fassungslosigkeit sorgt. Diese Schlagzeilen dominieren nicht nur die Nachrichten, sondern auch die sozialen Medien, und sie scheinen bewusst auf eine beunruhigende Zunahme von Kindesmissbrauchsfällen anzudeuten. Jedoch ist es von entscheidender Bedeutung, hinter diese Schlagzeilen zu blicken, den Kern der Problematik zu erfassen und die Thematik in den gesellschaftlichen Kontext einzuarbeiten. Die vermehrte Berichterstattung über Übergriffe gegen Kinder ist in erster Linie ein Spiegelbild einer sich verändernden Gesellschaft, die endlich beginnt, diese dunkle Realität anzuerkennen und ihr entgegenzutreten.



Dieser Wandel ist ein Resultat eines breiteren gesellschaftlichen Bewusstseins:

  1. Sensibilisierung und Bildung: Es gibt ein breiteres Bewusstsein für die Auswirkungen von Kindesmissbrauch und eine verstärkte Aufklärung in Schulen, Gemeinden und Medien über die Erkennung und Prävention dessen. Fachkräfte durchlaufen heutzutage andere Bildungs- und Weiterbildungskonzepte, die sich mit dieser Thematik tiefgreifend auseinandersetzen.

  2. Stärkere Gesetze: Die Gesetze zum Schutz von Kindern vor Missbrauch wurden in vielen Ländern verschärft, und die Strafverfolgung von Tätern wurde verbessert. Konzepte zum Schutz von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen Deutschlands (gemäß §§ 45, 79a SGB VIII), sind beispielsweise seit dem 1. Januar 2012 gesetzlich vorgeschrieben. Dies hat selbsterklärend eine neue Form von Bildung und Aufklärung in diesem Bereichen mitsichgebracht. Die Sensibilisierung zu diesem Thema hat stark zugenommen und das Erkennen von Vorfällen hat hierdurch stark zugenommen.

  3. Kinderschutzorganisationen: Diverse Organisationen und Schutzdienste sorgen für breitere Aufklärungsarbeiten und stellen Hilfe dar, für Kinder und ihre Familien.

  4. Offenere Diskussion: Die Gesellschaft ist offener und sensibilisierter für Diskussionen über Missbrauch, und es gibt eine größere Bereitschaft, solche Vorfälle zu melden und die Opfer zu unterstützen, sowie gegen Täter:innen vorzugehen.


Wenn wir über die vermehrten Fälle an Übergriffen berichten, müssen wir gleichsam bedenken, dass eben diese Fälle, in der Vergangenheit oftmals nur als Dunkelziffer hätten erahnt werden können.


Die aktuelle Aufmerksamkeit für dieses bedeutsame Thema sollte als Anreiz dienen, proaktive Maßnahmen zu ergreifen. Eine wichtige Komponente hier, ist die Aufklärungsarbeit, die darauf abzielt, sowohl pädagogische Fachkräfte als auch betroffene Familien noch stärker zu sensibilisieren und mit noch umfassenderen Leitlinien auszustatten, sowie Rahmenbedingungen zu kreieren, die ein frühzeitiges Erkennen von eventuellen Übergriffen, deutlich erleichtern. Und, wenngleich es von essenzieller Wichtigkeit ist und einen integralen Bestandteil der Aufklärungsarbeit und Sensibilisierung dieser Thematik darstellt, diese medial ebenfalls wiederzugeben, sollte dies auf eine Art und Weise erfolgen, die ohne panikmachende Ansätze auskommt und nicht allgemeine Sorgen und Ängste der Eltern und Erziehungsberechtigten auslöst, im Bezug des Wohlergehens ihrer Kinder, in frühkindlichen Institutionen. Wir möchten entschieden betonen, dass wir uns von dieser Art des Journalismus und der sensationellen Darstellung dieses Themas distanzieren. Wir möchten uns als Teil der Lösung verstehen, und dafür bedarf es intensiver Recherchen und wohlüberlegter Worte.

In den vergangenen Wochen haben wir daher Artikel veröffentlicht, die sich eingehend mit dem frühzeitigen Erkennen von Übergriffen bei Kleinkindern, inbesondere im non-verbealen Altersabschnitt, befassen. In diesen Beiträgen haben wir uns mit den diversen Anzeichen auseinandergesetzt, die nicht nur seitens des pädagogischen Fachpersonals, sondern auch innerhalb der Familie ermittelt werden können und sollten.

Desweiteren haben wir einen umfassenden Leitfaden erarbeitet, der detaillierte Schritte enthält, die ergriffen werden können, wenn der Verdacht auf solche Vorfälle besteht, und wie man in Fällen, in denen diese Befürchtungen bestätigt werden, angemessen vorgeht. Wir sind fest davon überzeugt, dass Aufklärung und die Bereitstellung von Ressourcen zur Prävention und Unterstützung von Familien ein wichtiger Schritt in Richtung einer sichereren und gesünderen Gesellschaft sind, die unseren Kindern mehr Schutz bieten kann und wird.

Wir ermutigen Medien und relevante Akteure im Bereich der frühkindlichen Bildung, sich unserer Aufklärungsarbeit anzuschließen und konstruktiv beizutragen.