Neuste OECD-Studie: eine hausgemachte Perspektivlosigkeit?

Die jüngsten Ergebnisse einer OECD-Studie haben Deutschland in Bezug auf Bildungsabschlüsse in ein zwielichtiges Licht gerückt. Während die Zahl der Abschlüsse auf höherem Niveau stieg, nahm die Kluft zwischen denen, die keinen Sekundarschulabschluss erreichen, und denen mit tertiären Bildungsabschlüssen zu. Die Fakten sind alarmierend, aber sie weisen auf ein tiefer liegendes Problem hin - die konstante Unterfinanzierung der frühkindlichen Bildung.

Die OECD-Studie, die kürzlich veröffentlicht wurde, zeigt, dass Deutschland eines der beiden untersuchten Länder ist, in denen der Anteil der 25- bis 34-jährigen Bevölkerung ohne Abschluss im Sekundarbereich II gestiegen ist. Dieser Anstieg von 13 auf 16 Prozent zwischen 2015 und 2022 verdeutlicht, dass viele junge Menschen den Bildungsweg nicht erfolgreich abschließen können. 

Aber warum ist das so?

Es ist von entscheidender Bedeutung zu erkennen, dass die alleinige Verantwortung für den Bildungserfolg nicht nur in den Schuljahren verankert werden sollte. Tatsächlich beginnt die entscheidende Phase für die Bildung eines Kindes viel früher, in den ersten Lebensjahren. Hier werden die Grundlagen für die Bildungslaufbahn gelegt, und diese Phase kann als eine Art Fundament betrachtet werden, auf dem der gesamte Bildungsaufbau erfolgen wird.

Erkennen von Herausforderungen und gezieltes Fördern von Stärken sind hier die Essenzen der späteren Entwicklung.

  1. Kognitive Entwicklung: In den frühen Jahren werden die kognitiven Fähigkeiten eines Kindes geformt. Dies umfasst grundlegende Fertigkeiten wie das Erkennen von Buchstaben, Zahlen und Formen. Diese Grundlagen sind entscheidend für das spätere Verständnis komplexerer Konzepte in den höheren Bildungsjahren.

  2. Sprachliche Entwicklung: Die Entwicklung der Sprache ist ein Schlüsselelement für den Bildungserfolg. In den ersten Lebensjahren erwerben Kinder nicht nur ihre Muttersprache, sondern legen auch den Grundstein für das Erlernen weiterer Sprachen. Frühzeitige Förderung in diesem Bereich kann die sprachlichen Fähigkeiten stärken, was sich positiv auf das spätere Lesen, Schreiben und Verstehen komplexer Texte auswirkt.

  3. Soziale und emotionale Kompetenzen: Die frühkindliche Phase ist entscheidend für die Entwicklung von sozialen Fähigkeiten wie Empathie, Kooperation und Konfliktlösung. Diese Kompetenzen sind nicht nur im schulischen Umfeld wichtig, sondern begleiten ein Individuum auch sein ganzes Leben lang und beeinflussen sein Verhalten und seine Beziehungen.

  4. Lernmotivation und Selbstvertrauen: In den frühen Jahren wird auch die Lernmotivation und das Selbstvertrauen eines Kindes geprägt. Kinder, die positive Erfahrungen mit dem Lernen und Entdecken machen, entwickeln oft eine innere Motivation, Wissen zu erwerben. Umgekehrt können negative Erfahrungen in dieser Phase das Lerninteresse beeinträchtigen.

  5. Fähigkeiten zur Problemlösung: Die Fähigkeit, Probleme zu erkennen und Lösungen zu finden, wird in den ersten Lebensjahren geschult. Diese Fähigkeiten sind entscheidend für die Bewältigung komplexer Aufgaben und Herausforderungen in der späteren Schullaufbahn und im Berufsleben.

Kinder, die in mehrsprachigen Haushalten aufwachsen, stehen oft vor besonderen Herausforderungen im Bildungssystem Deutschlands. Die OECD-Studie spricht von einem starken Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und dem anschließenden Bildungserfolg. Dieser Zusammenhang betrifft nicht nur den Zugang zu Bildungsressourcen, sondern auch die gesellschaftliche Wahrnehmung von kultureller Vielfalt. Die Fähigkeit, mehrere Sprachen zu beherrschen, ist eine bemerkenswerte Stärke, die aufgrund ihrer enormen Vorteile gefördert werden sollte. Leider wird diese Stärke in einem Bildungssystem, das primär auf die Dominanz der vorherrschenden Unterrichtssprache, in diesem Fall Deutsch, ausgerichtet ist, oft nicht entsprechend gewürdigt und daraus resultierende Herausforderungen werden nicht entsprechend berücksichtigt.

Es ist wichtig zu betonen, dass diese scheinbaren Verzögerungen im Spracherwerb in einem klaren Kontext stehen: Kinder aus mehrsprachigen Haushalten erwerben nicht nur eine, sondern mehrere Sprachen parallel. Dies erfordert zusätzliche geistige Anstrengungen und Ressourcen, die oft übersehen werden. Leider wird diesen Kindern häufig nicht die gezielte Förderung und Unterstützung gewährt, die sie benötigen, um auf dem gleichen Niveau wie ihre monolingualen Mitschülerinnen und Mitschüler zu sein. Die Folgen dieses Mangels an Förderung und letztendlich auch an Anerkennung sind tiefgreifend. Kinder aus mehrsprachigen Haushalten können sich unsicher fühlen und sich selbst als weniger fähig wahrnehmen, da sie im System frühzeitig die Botschaft erhalten, dass sie in bestimmten Bereichen nicht ausreichende Leistung vollbringen. Diese anhaltende Unsicherheit und das Gefühl der Unterlegenheit können sich negativ auf ihre Lernmotivation, ihr Selbstvertrauen und ihre schulische Leistung auswirken.

Das eigentliche Problem liegt jedoch nicht bei den Kindern, sondern im Bildungssystem selbst. Das System muss dringend umgestaltet werden, um die besonderen Bedürfnisse und Potenziale mehrsprachiger Kinder zu erkennen und zu fördern. Wenn dies nicht geschieht, setzen wir Kinder von Anfang an dem Risiko der Perspektivlosigkeit aus, da sie fälschlicherweise annehmen könnten, dass der Fehler bei ihnen oder gar ihrer Mehrsprachigkeit liegt, nicht aber bei dem ausgelegten Bildungssystem, das nicht in der Lage ist, angemessen auf die klaren Chancen zu reagieren, die die Multilingualität bietet.

In einer Zeit, in der die Globalisierung unsere Welt immer stärker vernetzt und die Bildung zunehmend zu einem entscheidenden Faktor für individuellen und gesellschaftlichen Erfolg wird, ist es zweifellos von unschätzbarem Wert, einen höheren Bildungsgrad zu erreichen. Ein solcher Abschluss eröffnet nicht nur Perspektiven in Deutschland, sondern auch international und ermöglicht den Zugang zu globalen Chancen. Doch dürfen wir nicht vergessen, dass unsere Gesellschaft vielfältig und facettenreich ist. Nicht alle streben nach den gleichen Zielen und Idealen und es ist von großer Wichtigkeit, die Bedürfnisse und Potenziale aller Individuen ausreichend zu berücksichtigen.

In dieser multikulturellen und multilingualen Gesellschaft ist es entscheidend, auch diejenigen zu motivieren und Perspektiven zu setzen, die nicht zwangsläufig einen höheren Bildungsgrad anstreben. Eine breite Palette von beruflichen Förderungen und Entfaltungsmöglichkeiten sollte perspektivisch zur Verfügung stehen, um den individuellen Interessen und Fähigkeiten gerecht zu werden. Nicht jede/r Schüler*in ist auf dem Weg zur Universität oder dem akademischen Erfolg, und das ist keineswegs ein Zeichen von Mangel an Ambition oder Fähigkeiten. Es gibt viele hochintelligente, talentierte Menschen, die andere Wege wählen, sei es in der beruflichen Bildung, kreativen Künsten oder anderen Bereichen, die gleichermaßen wertvoll und bedeutend für unsere Gesellschaft sind. Es ist an der Zeit, eine Bildungspolitik zu fördern, die Vielfalt und Inklusion schätzt und die unterschiedlichen Bildungsziele und Lebenswege gleichermaßen unterstützt. Wir müssen die individuellen Stärken und Potenziale aller erkennen und ihnen die Möglichkeit geben, ihr Bestes zu entfalten, unabhängig von ihrem gewählten Bildungsweg. 

Die ausreichende Bereitstellung von Ressourcen und finanziellen Mitteln für frühkindliche Bildungseinrichtungen ist von entscheidender Bedeutung. Die frühkindliche Bildung sollte nicht nur als Vorbereitung auf spätere Schuljahre angesehen werden, sondern als eine Institution, in der Kinder ihre Stärken erkennen und ausbauen sowie Herausforderungen selbstbewusst überkommen können. 

Die momentane Situation, der sich viele Kitas gegenüberstehen sehen, erschwert dies leider erheblich. Eine anhaltende Unterfinanzierung und der Personalmangel erschweren die individuelle Förderung jedes Kindes ungemein. Nicht selten bleiben Herausforderungen somit unentdeckt oder erhalten nicht die notwendige, individuelle Aufmerksamkeit. So können sie sich weiterentwickeln und ausbauen und werden oftmals erst in den schulischen Jahren deutlich sichtbar, bei erheblichen Leistungsdifferenzen zu den Mitschülerinnen und Mitschülern. Die nun notwendigen Förderungen, um die Defizite erfolgreich zu überkommen, sind mannigfaltig. Die Herausforderungen, die sich dadurch persönlich und im Selbstwert des Kindes verankern, werden von außen oftmals unterschätzt. Wir benötigen einen Rahmen, in dem die Einzigartigkeit der Kinder wahrgenommen und gefördert werden kann. Nur so können wir sicherstellen, dass Kinder ihren eigenen Bildungsweg gestalten, basierend auf persönlichen Entscheidungen und Stärken, nicht aber auf Begrenzungen und Perspektivlosigkeit. Es liegt an uns, diese Veränderungen in der Bildung zu bewirken, indem wir die Bedeutung der frühkindlichen Bildung anerkennen, die Vielfalt der Bildungswege schätzen und die Chancen für jedes Kind gleichermaßen öffnen. Nur so können wir sicherstellen, dass Bildung nicht eine Quelle der Begrenzung ist, sondern ein Weg zur Entfaltung des vollen Potenzials eines jeden Einzelnen, und damit zur Stärkung unserer Gesellschaft als Ganzes. 

Eine Gesellschaft, in der Menschen die Möglichkeit haben, sich in ihren Stärken zu entfalten, unabhängig von ihrem Bildungsgrad, würde eine unglaubliche Vielfalt an Talenten, Fähigkeiten und Ideen hervorbringen. Es ist an der Zeit, die frühkindliche Bildung und individuelle Förderung als Investition in unsere gemeinsame Zukunft zu betrachten, denn wenn jeder sein volles Potenzial ausschöpfen kann, werden wir alle davon profitieren.