100 Tage – 100 offene Fragen

Einhundert Tage ist der neue rot-grün-rote Senat nun bereits im Amt. Anlass für uns, auf die vergangenen drei Monate zurückzuschauen und einen kleinen Ausblick zu wagen. 

Keine Frühe Bildung im 100-Tage-Programm

Auch wenn die Regierende Bürgermeisterin und deren Jugendsenatorin als Kernprojekt die Schaffung von 50 neuen Sprachkitas in Berlin als Erfüllung ihres 100-Tage-Programms feiern, muss darauf hingewiesen werden, dass es sich dabei um ein aus Bundesmitteln finanziertes Projekt handelt und somit nicht diesem neuen Senat zugeschrieben werden kann. Darüber hinaus gab es außer einer angekündigten Prüfung der Kita-Sozialarbeit sowie der Ernennung eines Staatssekretärs für Digitalisierung allerdings keine nennenswerten Projekte in der Frühen Bildung. Der derzeitige Krieg in der Ukraine sowie die vergangenen Pandemie-Jahre sollten dabei nicht als Ausrede für eine unsolide Bildungspolitik herhalten, denn es geht in der Frühen Bildung um die Zukunft unserer Kinder. 

Keine Kommunikation

Wir müssen ernüchternd feststellen, dass die neue Jugendsenatorin das mangelhafte Kommunikationsverhalten der vorangegangenen Hausleitung fortsetzt. So hat die neue Senatorin sich bis heute nicht bei den Freien Kita-Träger, insbesondere bei den kleinen und mittelgroßen Kita-Trägern oder ihrem Verband vorgestellt und den Dialog eröffnet - selbst auf unsere zahlreichen Terminanfragen gab es bisher keine Zusagen. Wir als der Berliner Verband der Kleinen und Mittelgroßen Kitaträger fordern bereits seit Jahren einen engen Austausch mit allen Betroffenen zu pflegen, denn wir sind der festen Überzeugung, die Herausforderungen in der Berliner Bildungslandschaft nur gemeinsam lösen zu können. 

Große Herausforderungen 

Es gibt viel zu tun! Die Berliner Kitas sind seit Jahren unterfinanziert und die Gelder aus dem Bundeshaushalt (sog. „Gute-Kita-Gesetz“) laufen zum Ende des Jahres aus, ohne dass bisher ein Ersatz in den vorliegenden Entwürfen zum Bundes- sowie dem Berliner Doppelhaushalt ersichtlich ist. Hinzu kommen Preissteigerungen auf allen Ebenen: Gewerbemiete, Energie- (+21%), Lebensmittel- (+7%) und Baukosten (+12,6%) sowie vieles mehr. Allein die auf Jahre angelegte Anhebung der Sachkosten um lediglich 6,66% - wohlbemerkt in Summe - wird derzeit von der Inflation sowie den massiven Preissteigerungen bereits in diesem Jahr aufgezehrt.    

Rund die Hälfte aller Kitaplätze in Berlin wird von kleinen und mittelgroßen Kita-Trägern geführt. Gerade sie sind von der Unterfinanzierung der vergangenen Jahre und derzeitigen Preissteigerungen existenziell bedroht. Wenn wir jetzt nicht die Finanzierung in der Frühen Bildung verbessern, erleben wir womöglich eine Insolvenzwelle der kleinen Kita-Träger und damit den Wegfall tausender Kitaplätze in Berlin. Um dies zu verhindern, haben wir die folgenden Lösungsvorschläge erarbeitet.

Anhebung der Sachkostenpauschale 

Alle Bereiche der Sachkostenpauschale sind derzeit von überdurchschnittlichen Preissteigerungen betroffen. Deshalb muss die Jugendsenatorin spätestens nach Ostern eine Konferenz zu den Sachkostenblättern, bei dem alle Berliner Verbände beteiligt sind, einberufen und im Anschluss Anpassungsverhandlungen gemäß § 10 Abs.1 RV-Tag über eine solide und über die kommenden Jahre tragfähige Finanzierung vereinbaren. 

Kitaplatz-Ausbau

Wir benötigen 26.000 neue Kitaplätze in den nächsten Jahren. Hinzu kommen noch mehrere tausend Plätze für die ukrainischen Kinder, die dieser Tage Berlin erreichen, sowie einiger tausend Plätze, die laut Senat bereits aufgrund des Fachkräftemangels nicht mehr belegt werden können.   

Bei einem veranschlagten Baukosten-Preis von 30.000 Euro pro Kitaplatz (maximaler Betrag der Förderhöhe) ergeben allein die 26.000 Kitaplätze ein Investitionsvermögen von 780 Millionen Euro – während der Doppelhaushalt bisher nur 54 Millionen Euro vorsieht. Wir brauchen aber einen realistischen Plan, wie die benötigten Plätze in den nächsten Jahren entstehen können und vor allem finanziert werden. 

Neben der Finanzierung muss auch die Antragspraxis deutlich verbessert werden. Das bisherige Verwaltungs-Ping-Pong der vielen beteiligten bezirklichen und Landesverwaltungen muss zu einem einheitlichen Anlaufpunkt für die bauwilligen Freien Kita-Träger werden. Hier haben wir bereits tragfähige Lösungsvorschläge, wie eine Genehmigungsfiktion und andere Vorschläge zur Entbürokratisierung, erarbeitet und der Verwaltung unterbreitet. 

Anerkennung der mittelbaren pädagogischen Arbeit 

Das Berufsbild in der Frühen Bildung muss attraktiver werden. Zum einen haben die Belastungen der vergangenen Jahre die Kita-Teams erschöpft und an den Rand der Belastbarkeit gebracht, zum anderen drängt uns der Fachkräfte-Mangel in Berlin dazu, Schritte für eine Verbesserung der Personalsituation einzuleiten. Ein erster, wichtiger Schritt wäre dabei die komplette Anerkennung der mittelbaren pädagogischen Arbeit in der Frühen Bildung.  

Sprach-Kitas und Kita-Sozialarbeit 

Die von der Bildungssenatorin und Regierenden Bürgermeisterin mit einem Pressetermin gefeierten 50 neuen Sprachkitas können aus unserer Sicht nur ein Anfang sein. Das Recht auf eine gute Sprachförderung sollte allen Kindern in Berlin ermöglicht werden. Dafür brauchen wir genügend Fachkräfte sowie eine entsprechende Infrastruktur sowie Fachkompetenz in der Verwaltung.  

In dem 100-Tage-Programm wurde eine Prüfung der flächendeckenden Einführung der Kita-Sozialarbeit vereinbart. Diese Prüfung sollte nun zu einem Ergebnis geführt werden. Vom Nutzen sowie der Notwendig der Kita-Sozialarbeit – parallel zu den Schulen – sind alle Beteiligten ohnehin überzeugt. 

Digitalisierung

Um auch die Digitalisierung in der Frühen Bildung gezielt voranzutreiben wurde von der neuen Jugendsenatorin ein Staatssekretär für Schuldigitalisierung, Jugend und Familie ernannt. Konkrete Maßnahmen oder Meilensteine sind seither jedoch noch nicht verkündet worden und das Thema wurde vorerst in die Jahre 2023/24 verschoben. Dabei sollen die Sprachlerntagebücher, um nur ein Beispiel zu nennen, für eine bessere Informationsübergabe der Kernfähigkeiten beim Übergang von der Kita zur Schule digitalisiert werden. Dafür müssen allerdings noch sowohl Endgeräte (Hardware) als auch die benötigten Programme (Software) bereitgestellt werden. 

Bildungsrendite anstatt Rotstift 

Allein die oben genannten Kernpunkte sind notwendig, um das im Gesetz verankerte Recht auf einen Kitaplatz für jedes Kind in Berlin zu gewähren. Dafür muss der Senat allerdings den Doppelhaushalt 22/23 dahingehend anpassen und entsprechende Gelder einplanen.

Ebenso muss das von der SPD geführte Landesressort von der Bundespolitik, in Form der bündnis-grünen Bundesministerin für Jugend, unterstützt werden. Vielleicht können hier die kurzen Wege sowie die enge Zusammenarbeit in den Koalitionen auf Bundes- und Landesebene erfolgreich für die frühkindliche Bildungspolitik genutzt werden.

Lars Békési, Geschäftsführer des VKMK: „Anstatt wieder in alte Muster zu verfallen und in der Bildung den Rotstift anzusetzen, sollte es der neue rot-grün-rote Senat besser wissen und seine Wahlversprechen verlässlich umsetzen. Seriöse Politik bedeutet aus der Sicht der Kleinen und Mittelgroßen Kitaträger bereits mit dem kommenden Doppelhaushalt 22/23 belastbare Haushaltsmittel vorweisen zu können, damit das Bildungsversprechen gegenüber jedem einzelnen Kind in Berlin auch tatsächlich erfüllbar ist.Jeder in die Frühe Bildung investierte Euro zahlt sich mehrfach auf dem späteren Bildungsweg aus! Die Kita ist die erste Bildungseinrichtung unserer Kinder und bietet deshalb eine enorme Bildungsrendite. Das hilft den Kindern und sichert ihnen und uns eine chancenreiche Zukunft.“