Kitakrise 2022 / 2023 - Ein Interview Mit Lars Békési

Ein Revue-Passieren des Jahres 2022 mit Lars Békési, Geschäftsführer des VKMK.

“Warme Worte, kalte Aussichten”  

Die Senatorin für Bildung, Jugend und Familie in Berlin, bezeichnete in ihrer Weihnachtsgrußkarte an die Kitaträger Berlins, das Jahr 2022, als ein Jahr der Krisen und Herausforderungen, welches gleichzeitig aber ein Zusammenwachsen in den Kitas und Kitaträgern deutlich zeigte. Wie stehen Sie zu diesem Ansatz, Herr Békési? 

Lars Békési: Natürlich ist es schön einen Weihnachtsgruß zu erhalten - in diesem Jahr hatte er aber einen faden Beigeschmack. Die Krisen, von denen Frau Busse gesprochen hat, sind real und noch lange nicht gelöst. Das Zusammenrücken, von dem sie spricht, sehe ich kritisch. Metaphorisch gesprochen; in einem sinkenden Boot klammern sich die Insassen vermutlich auch aneinander und versuchen verzweifelt, das Unvermeidbare hinauszuzögern - es ändert aber nichts an dem tatsächlichen Sinken. Eine Hilfestellung, ein aktives Eingreifen, wäre hier das einzig Vernünftige - nicht aber ein symbolisches Applaudieren an den noch halbwegs intakten Zustand der Insassen, während man dabei zusieht, wie das Boot weiterhin zerstört wird. 

Das sinkende Boot, symbolisch für den Verfall der frühkindlichen Bildungsträger. Welche Entscheidungen haben Sie in diesem Jahr insbesondere als fatal einstufen können? 

Lars Békési: Am Ende sind es nicht nur die tatsächlich ausgeführten Handlungen, sondern auch die vielen verpassten Gelegenheiten Verantwortung zu übernehmen und hier die richtigen Schritte zu gehen. 

Ein Paradebeispiel sind die Sprach-Kitas in Berlin. Während Anfang des Jahres noch die regierende Bürgermeisterin, gemeinsam mit Senatorin für Bildung, Jugend und Familie, feierlich die Bändchen zerschnitt, bei der Eröffnung diverser Sprach-Kitas, konnte sich im Hintergrund nicht geeignet werden, wer hier die finanzielle Verantwortung übernehmen wird, sobald der Bund die Anschubsfinanzierung, wie geplant, beendet. Anstelle frühzeitig  eine solide Lösung  gemeinschaftlich zu beschließen, wurden die Sprach-Kitas viel eher als politische Spielmasse durch zahlreiche Ländern gegenüber dem Bund instrumentalisiert, in der Hoffnung, dass es hier, mittels diverser Druckmittel eben doch zu einer Weiterfinanzierung in altbekannter Struktur durch den Bund kommen kann.

So etwas kann und darf nicht passieren, in einer vernünftigen verantwortungsvollen Bildungspolitik. 

Eine Lösung hierfür scheint es bis heute nicht zu geben? 

Lars Békési: Und genau das ist eben das Problem. Es sind nicht die aktiven Handlungen, die hier das Boot zum Sinken bringen. Es sind viele passive Entscheidungen. Das Weiterreichen von Verantwortlichkeiten, das Übergehen von Problemfeldern, in der Hoffnung, sie würden von alleine verschwinden, oder jemand anderes würde sich ihrer annehmen. Die Wichtigkeit von Bildung, insbesondere das Augenmerk auf den Jüngsten, wird unfassbar gerne betont und in Wahlkampagnen natürlich auch gezielt instrumentalisiert - die Wirklichkeit zeichnet aber ein Bild der Vernachlässigung und des Wegduckens vor Verantwortlichkeiten, das uns nun einholt, mit drastischen Konsequenzen. 

Während im Herbst keine substanziellen Lösungen durch den Berliner Senat gefunden werden konnte, um die 13,4 Millionen Euro für die bestehenden Sprach-Kitas umsetzen zu können, wurde im AGH- im Rahmen des Nachtragshaushaltes gleichzeitig das Freigeben von zusätzlichen 500 Millionen Euro besiegelt, für die Reduzierung des A-B Tickets in Berlin - einem Ticket, von dem nicht einmal die Anwohner:innen im Berliner Stadtrand , die wirklich darauf angewiesen wären, profitieren können. So sieht keine verantwortungsbewusste Politik aus - und schon gar keine mit Zukunftsperspektiven. Erst, als das Schließen der Sprach-Kitas dann tatsächlich vor der Tür stand, wurde sich notgedrungen nach einer Lösung umgesehen, die, für uns absolut nicht überraschend, letztendlich so aussah, dass an die ohnehin schon leeren Töpfe der Kitas gegangen wird, um eine Ad-Hoc-Finanzierung für die kommenden 6 Monate mit Ach und Krach umsetzen zu können. Eine Lösung mit Perspektive für die darauffolgende Zeit ist bis heute nicht auffindbar. Ich denke, das unterstreicht sehr gut, weshalb weihnachtliche Grüße, mit einem Lob gegenüber des “Zusammenrückens” innerhalb der Kita-Teams und Kitaträger, eher auf Irritation stoßen. 

Sie erwähnen von diesem Vorgehen nicht mehr überrascht zu sein. Stehen Sie dem kommenden Jahr ebenfalls ernüchtert gegenüber? 

Lars Békési:

Wenn man die Erfahrungswerte der vergangenen Jahre, insbesondere des letzten Rot-Grün-Rot-Jahres, bewertet - bleibt einem nur Ernüchterung übrig.

Es war ganz klar ein verschwendetes Jahr, in Bezug auf die frühkindliche Bildungspolitik. Trotzdem bleiben wir positiv und werden uns weiterhin stark für relevante Themen einsetzen. Die Liste der Lösungen sind unserseits bereits mehrfach benannt worden. Es muss hier aber eine Änderung hinter den Kulissen geben, damit diese letztendlich auch spürbar bei den Kindern und den Kitateams in allen Kindertagesstätten zu sehen ist. 

Wie hoffen Sie, könnte man einen Schritt in Richtung Besserung gehen? 

Lars Békési: Die vielfältige Fremdbestimmung der Kita-Träger durch die Senatsverwaltung, mit ihren knapp 60 Trägerscheiben der letzten Pandemie-Jahre, ist nicht sinnvoll. Wir wünschen uns die notwendige Beinfreiheit, hier Entscheidungen deutlicher zu bestimmen und mehr Gehör finden zu können, damit wichtige Themen nicht untergehen - oder hinausgezögert werden, bis die Katastrophe vor der Tür steht . Wir brauchen hier situationsgerechte Lösungen. Beispielsweise eine vollumfängliche Entlastung der Kitateams von fachfremder Verwaltungsarbeit, eine 100%ige Anrechnung der mittelbaren pädagogischen Arbeit, oder etwa eine angemessene, qualitätsvollere Ausgestaltung der Ausbildungsinhalte. Diese Forderungen sind nicht neu, sondern wohlbekannt. Der, nach der Wahlwiederholung neugewählte Senat, muss hier endlich die Umsetzung gestalten. Das beginnt selbsterklärend bereits bei den Haushaltsverhandlungen und der Festschreibung entsprechender Titel. 

Welche Problematiken, befürchten Sie, könnten im kommenden Jahr entstehen oder verstärkt werden, sofern sich politisch keine Änderung abzeichnet? 

Lars Békési: Das Hauptproblem ist natürlich eine deutliche Unterfinanzierung, gepaart mit einer deutlichen Überlastung. Die Symptome dessen breiten sich seit Jahren in allen vorstellbaren Bereichen aus und zeichnen sich insbesondere in einem stetigen Abgang von qualifizierten Fachkräften ab. Die Tendenz hier ist weiterhin abnehmend. Die Verantwortlichkeiten bleiben natürlich bestehen, aber aufgrund der aktuellen Lage müssen sie unter weniger Fachkräften aufgeteilt werden. Überbelastung führt zu Mehr-Ausfällen, was wiederum zu weiterer Überlastung führt. Wenn die Bedingungen eines Berufes so strukturiert sind, dass selbst darauf spezialisierte Fachkräfte freiwillig das Feld verlassen, ist das selbstverständlich auch keine Grundlage, um neue Fachkräfte mit den richtigen Kompetenzen anzuwerben und langfristig zu binden. 

Wir befinden uns bereits in einer Spirale nach unten und am Grund warten drastische Konsequenzen auf uns:

Einbruch der Qualität von Verpflegung und Bildung, sowie verkürzte Öffnungszeiten oder deutlich weniger Angebot, an die vielen Familien, die verzweifelt darauf angewiesen sind. Dies sind Probleme, die nicht neu sind, sondern gekonnt seit Jahren übergangen und ausgesessen werden. Die Kostenexplosionen der vergangenen Monate haben diese nur zusätzlich gravierend verstärkt.  Das frühkindliche Bildungssystem ist ein völlig überlastetes und erschöpftes System, das in 2022 weiterhin ausbluten musste mit keiner Perspektive, dass sich hier etwas im kommenden Jahr ändern wird. Dass wir irgendwann an das Ende der Kapazität gekommen werden und einen fatalen Kollaps erleben werden, ist keine Frage des “ob / wenn”, sondern des “wann.”  

Was wünschen Sie sich für das Jahr 2023? 

Lars Békési:

Über ein schlichtes “Wünschen” sind wir bereits lange hinaus.

Die Dringlichkeit des aktuellen, mehrfachen Notstandes muss anerkannt werden, um hier Problematiken der Zukunft zu vermeiden. Wir müssen das Kernproblem behandeln, nicht nur die Symptome dessen - die unvermeidbar immer wieder auftauchen und selbsterklärend schwerwiegender ausarten werden, wenn wir das Grundproblem nicht systematisch und lösungsorientiert angehen. Frühkindliche Bildungspolitik ist das Fundament der Investitionspolitik. Eine Investition in die Kinder ist eine Investition in die Zukunft. Wir erwarten im Jahr 2023 eine echte Verantwortungsübernahme zur Umsetzung dieser Investitionspolitik seitens der Politik und mehr Entscheidungsfreiheit für die Kita-Träger. An dieser Stelle verweise ich natürlich auf die Möglichkeit hier aktiv mitzureden und mitzugestalten, die sich im kommenden Februar bietet.

Am 12.02.2023 findet die Wahlwiederholung zum Berliner Abgeordnetenhaus statt.

Wir hoffen auf ein reges Beteiligen der Berliner Wähler:innen, um so politisch, in Zukunft bessere und bewusste Entscheidungen in der frühkindlichen Bildungspolitik treffen zu können.