VKMK im Gespräch mit Katharina Günther-Wünsch

Die Berliner CDU hat für den Fall eines Sieges bei der Wiederholungswahl in Berlin, am 12.02.2023, schon eine Bildungssenatorin ins Auge gefasst: Katharina Günther-Wünsch. Wir haben mit ihr gesprochen, über ihre Sichtweisen zur aktuellen Kitakrise, ihre Wünsche und Zukunftsprognosen.

Katharina Günter-Wünsch ist seit 20 Jahren politisch aktiv. Angefangen in Dresden, ist sie seit über 10 Jahren bereits in Berlin. Sie ist Mitglied der Ausschüsse für Bildung, Jugend und Familie, Umwelt, Verbraucher- und Klimaschutz und Sport und die bildungspolitische Sprecherin ihrer Fraktion. Aber sie bringt ebenfalls andere Erfahrungen aus dem Bildungsbereich mit - auf mehreren Ebenen. Lange Zeit hat sie als Pädagogin gearbeitet, im Hochbegabten-Bereich, sowie als stellvertretende Schulleiterin an einer Schule in Neukölln - und versteht auch die Position der Eltern: als Mutter.

„Es ist keine Selbstverständlichkeit, Chancengerechtigkeit zu erleben und vor Allem das selber zu machen und zu entwickeln, was man für sich als Individuum möchte, um sich zu verwirklichen.“

VKMK: Diesen Satz haben sie auf ihrer Website. Chancengerechtigkeit und Selbstverwirklichung sind natürlich auch eng verwoben mit Förderung und Forderung. Stichwort: frühkindliche Bildung. Was ist für Sie das Wichtigste bei der frühkindlichen Bildung?

Katharina Günther-Wünsch: Frühkindliche Bildung ist der Grundstein für alles - vor allem, wie es für das Kind auch danach weitergehen kann/wird. Alles, was bis zum dritten Lebensjahr im Sprachbereich nicht stattfindet, ist später schwer aufholbar. Kinder müssen gefördert und gefordert werden.

VKMK: Die letzten Jahre haben die Kita-Krise zunehmend wachsen lassen. Wo sehen Sie hier die aktuell akuten Problemfelder?

Katharina Günther-Wünsch: Wir brauchen eine Änderung in den Kitas. Qualitativ wie Quantitativ - Ausreichend Kitaplätze müssen geschaffen werden, sodass es auch andere Gruppen und Raumstrukturen gibt. Kinder müssen spielen, entdecken und erleben können. Eine Metropole wie Berlin bringt natürlich eine sehr heterogene Struktur in der Kita mit sich. Wir haben volle Räume, in denen die Erzieher:innen natürlich mit wahnsinnig vielen Herausforderungen und Aufgaben konfrontiert sind. Wir haben Kinder aus unterschiedlichen Bereichen und mit unterschiedlichen Voraussetzungen. Da müssen sich die Kitas räumlich und auch personell hin entwickeln.

VKMK: Sie bringen Erfahrungen mit, aus erster Hand. Und haben zusätzlich eben auch den auch politischen Einblick. Wo sehen Sie hier die Probleme, speziell in Berlin? 

Katharina Günther-Wünsch: Wir haben in Berlin, meines Erachtens, ein Problem mit guten Standards, was die Qualifizierungen von Personal betrifft. Erzieher-Schulen sind in den letzten Jahren aus dem Boden geschossen. Ich war Schulleiterin an einer Gemeinschaftsschule und habe viel mit Erzieher:innen zu tun gehabt und es war ganz unterschiedlich, mit welchen Ausbildungsinhalten die Nachwuchskräfte hier an die Schule gekommen sind. Das A und O für mich ist sprachliche Bildung und sprachliche Kompetenz. Hier legt Kita, wie gesagt, den Grundstein. 1. Kommunikation 2. soziale Kompetenz 3. Wie füge ich mich in Gruppen ein? 4. Motorik. 5. Das Handwerkszeug, um ein soziales Wesen zu werden, das sich gut in die Schullaufbahn einfügen kann. Und eben, ganz wichtig, über allem: die sprachliche Kompetenz. Hier muss deutlicher angesetzt werden und ein Konsens in der Qualität existieren.

“Wir haben in Berlin, meines Erachtens, ein Problem mit guten Standards, was die Qualifizierungen von Personal betrifft.“

VKMK: Sie erwähnen die Wichtigkeit des Grundbausteines, der in den ersten Lebensjahren gelegt wird. Die CDU Fraktion / Bundesfraktion möchte ein verpflichtendes Kita-Jahr einführen, um hier die Kompetenzen vor der Einschulung anzugleichen. Was halten Sie davon?

Katharina Günther Wünsch: Aus pädagogischer Sicht bin ich klar dafür. Wir reden von Chancengerechtigkeit. Bildungsgerechtigkeit. Diese werden wir nur so erreichen können. Aber: Wir haben auch einen Kitaplatzmangel. Uns fehlen 17.000 Kitaplätze in Berlin. Und wir haben einen immensen Personalmangel. (…) Das (verpflichtendes Kita-Jahr) zu fordern, flächendeckend - kann man machen - wird aber ein Stück an der Realität vorbeigehen. (...) Es gibt viele Kieze, in denen Kinder in sozial schwierigen Situationen leben und die Kita nicht besuchen. Dies wird sich dann natürlich in den Grundschulen bemerkbar machen. Es gibt teilweise wirklich große Defizite, wenn diese Kinder letztlich eingeschult werden. Da muss man schauen, ob man vielleicht den Schwerpunkt nicht lieber dahingehend legt, dass man in diese Kieze zunächst hineingeht. Wie man das rechtlich macht, möchte ich jetzt gar nicht kommunizieren, aber wenn sie mich selber fragen, wo ich die Ressource einsetzen würde, die da ist - dann würde ich sagen. "Lasst uns dort arbeiten, wo es sehr herausfordernd ist und wo wir Kinder tatsächlich „abhängen”.” Fangen wir da an. Und dann - langfristig - benötigen wir auch ein verpflichtendes Kita-Jahr. 

VKMK: Wichtig und Richtig, stolpert man natürlich gerade gemeinsam über den Widerspruch, der eines der großen Kernprobleme aufzeigt: Dieser erhebliche Mangel an Personal in den Kitas und gleichzeitig, die Dringlichkeit nach Qualitätssicherung in der frühkindlichen Bildung, die in den Kitas nun einmal nur stattfinden kann über die Erzieher:innen. In den vergangenen Jahren gab es einen drastischen Anstieg an Abgängen aus diesem Beruf und zeitgleich immer weniger Neuzugänge. Was denken Sie, wie kann man neue Anreize schaffen, damit sich Pädagog:innen weiterhin für diese Berufswahl entscheiden und auch langfristig dabei bleiben?

Katharina Günther-Wünsch: Zum einen: Für bestehende Erzieher:innen müssen wir endlich aufhören einen Unterschied zu machen: „Wer arbeitet beim freien Träger und wer arbeitet im öffentlichen Dienst?“ Beinahe 85% unserer Erzieher:innen in Berlin sind in den freien Trägern tätig. Die Diskrepanz hier ist nicht mehr vertretbar.

Zum anderen müssen wir Kitaleitungen endlich von ihren vielen Verwaltungsaufgaben entlasten.Kitaleitung hat schon lange nichts mehr mit guter Kita-Entwicklung oder pädagogischer Arbeit zu tun, weil sie einfach an bürokratischen Aufgaben und Verwaltungsaufgaben festhängen. Eine Forderung von mir wäre den Kitas eine Verwaltungsleitung zu stellen, so, wie wir es auch schon bei den Schulen machen. 

Ein weiterer wichtiger Punkt: Digitalisierung. Diese müssen wir weiter voranbringen.Ich glaube, man kann vor allem eben auch viele bürokratische Aufgaben minimieren, durch eine bessere Digitalisierung. Man kann Elternabende digitalisieren, wenn es gewünscht ist - Wir haben auch Beispiele gesehen, wie man den Bereich Sprachförderung digitalisieren kann, oder die Sprachdiagnostik. (…) Viele Bereiche kann man mit modernen Instrumenten angehen und damit wäre natürlich Entlastung da. (…) 

Der Beruf Erzieher:in muss Möglichkeiten bieten, sich weiterentwickeln zu können. Es soll nicht wirken wie eine Einbahnstraße, die nicht mehr vorangeht, sondern auch professionelle Entfaltungsmöglichkeiten bietet. Hier müssen wir fest ansetzen.



”Der Beruf Erzieher:in muss Möglichkeiten bieten, sich weiterentwickeln zu können.”

VKMK: Wenn die CDU die Wahlen erfolgreich bestreitet, gibt es den Beschluss, dass Sie das Bildungsressort als Fraktion gerne in Anspruch nehmen würden? Wird die CDU es sich zutrauen, ein Bildungsressort zu übernehmen - sich der Mammutaufgabe anzunehmen - innerhalb von 5 Jahren eine Verbesserung tatsächlich spürbar zu machen?

Katharina Günther-Wünsch: Die CDU hält daran fest, das Bildungsressort zu beanspruchen. Richtig. Es wäre Utopie zu behaupten, man könnte es in 5 Jahren drehen. Ich glaube, was man machen kann ist, aus einer ideologischen Politik, eine pragmatische Politik zu machen. Kein Land steckt so viel Geld in Bildung und produziert so schlechten Output wie Berlin. Kein Ergebnis ist wirklich so, dass man sich als Land Berlin auf die Schulter klopfen könnte. Da muss Berlin jetzt ehrlich sein: Wie kriege ich den Kitaplatz-Ausbau hin? Wie sind die Kostenblätter im Kita Bereich? Nehmen wir die Kostenfreiheit woanders weg und stecken sie dafür in die Qualität und zuletzt vernünftige Quantität? Es fehlen schließlich nicht nur 17.000 - 18.000 Kita Plätze, sondern auch ca. 24.000 Schulplätze, 3.500 Erzieher, 1500 Lehrer. Wir haben durchgehend in den Bildungsinstitutionen eine riesengroße Lücke in Berlin und das sind Aufgaben und Zahlen, die sind gar nicht in 5 Jahren zu lösen. Egal, wie groß die Verwaltung ist. Hier braucht man vermutlich mindestens 3 Legislaturperioden.


”Kein Land steckt so viel Geld in Bildung und produziert so schlechten Output wie Berlin. “

VKMK: Man könnte meinen, die CDU würde andeuten, die “kostenlose Kita” - also die Beitragsfreiheit - wird eventuell nicht mehr von Dauer sein? 

Katharina Günther Wünsch: Ich sag es heute, ohne zu wissen, welches Ergebnis sich am 12.02.2023 entscheidet, dass wir diese Debatte führen werden. Müssen sogar. Das Umschichten von Finanzen wird hier nicht reichen. Ich bin selbst Mutter von 4 Kindern, ich habe in Bundesländern gelebt, in denen es keine Befreiung vom finanziellen Beitrag gab. Natürlich ist das unangenehm, aber wir reden hier von einer sozial fairen und gerechten Verteilung. Wir reden nicht von jenen, die gerade so über die Runden kommen können, sondern von denen, die diesen Beitrag de facto zahlen könnten. Und da muss man ehrlich sein; das ist der gesellschaftliche Auftrag. Wir müssen die Bildungsqualität in Berlin wieder auf die Füße stellen. Alle Kinder haben ein Recht auf einen Kitaplatz.(…) Und sie haben das Recht, von gut qualifiziertem Personal gebildet und betreut zu werden. 

Alle Kinder haben ein Recht auf einen Kitaplatz.”

VKMK: Zu Guter letzt - unabhängig von dem Ergebnis der Wiederholungswahl in Berlin, am 12.02.2023 -  Welche persönliche Vision haben Sie für die nächsten 5-10 Jahre, als bildungspolitische Sprecherin - oder Bildungspolitikerin im Bereich frühkindliche Bildung und Übergang Schule?


Katharina Günther Wünsch: Dass wir tatsächlich dem Anspruch auf einen Kitaplatz in Berlin jedem Kind gerecht werden können - auch in Wohnortnähe. Ich hätte gerne Kitas ,die kindgerecht sind, wo die Kinder betreut werden, gebildet und bildungsgefördert von einem qualifizierten, motivierten Personal, mit einem Betreuungsschlüssel, der der heterogenen Gesellschaft in Berlin angemessen ist. Ich sehe einen hohen Mehrwert in der Digitalisierung der Kitas -  zunächst in Verwaltung und Bürokratie und im zweiten Sinne ; wir haben einen Fachkräftemangel und wir müssen unsere Kinder trotzdem fördern und fordern. Und da kann Digitalisierung einen wesentlichen Bestandteil leisten.

Wir können die Kinder dort abholen, wo sie abgeholt werden müssen. (...)

Was ich mir noch wünsche, ist eine Forderung, die ich für die Kinder mache: eine vernünftige Dokumentation der Kinder, damit diese auch nahtlos in der Schule übernommen werden kann. Sei es sprachliche oder motorische Fähigkeiten oder Besonderheiten, auf die Acht gegeben werden muss. Das man das erkannt hat, gefördert hat und an die Schule übergeben kann. Wir wollen unsere Kinder bestmöglich fördern - und die eine Institution (Kita) lebt aber losgelöst neben der anderen (Schule). Und das muss sich ändern. Aber mit dem richtigen Koalitionspartner kann man einiges bewegen, das ist möglich.


Wir bedanken uns sehr herzlich bei Katharina Günther-Wünsch, für die Zeit und das umfangreiche, offene und aufschlussreiche Gespräch.